Abschlusssitzung der BSPC-Arbeitsgruppe für Klimawandel und Biodiversität in Danzig
Am 14. und 15. Mai 2023 trafen die Mitglieder der Arbeitsgruppe für Klimawandel und Biodiversität der Ostseeparlamentarierkonferenz (Baltic Sea Parliamentary Conference, BSPC) zum achten und letzten Mal in Danzig zusammen, um ihre Abschlussempfehlungen für die Jahreskonferenz im August 2023 zu besprechen. Daneben wurden auf Einladung des gastgebenden polnischen Sejms drei Sachverständige angehört, die über Chancen und Risiken des Ausbaus von Atomenergie als Teil der polnischen Strategie zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen sowie über die Arbeit und Prioritäten des Słowiński Nationalparks und Biosphärenreservats berichteten. Die Sitzung wurde durch den Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, Herrn Philipp da Cunha, MdL geleitet. Seitens des Landtages nahm auch die Erste Vizepräsidentin, Frau Beate Schlupp, an der Sitzung teil.
Lokale Praktiken im Fokus: Atomeinstieg und Management von Schutzgebieten in Polen
In den drei Jahren seit der Einsetzung der BSPC-Arbeitsgruppe für Klimawandel und Biodiversität standen Fragen der klimaneutralen Energien auf der Agenda. Die adressierten Themen reichten von Wasserstofflösungen für ÖPNV in Schweden, dem Ausbau von Offshore-Windparks auf den Ålandinseln bis hin zur Entwicklung von Elektromobilität in Mecklenburg-Vorpommern. In Fortsetzung dieser Beratungen wurden während der Sitzung in Danzig zwei Expertenberichte zu Polens Plänen zum Einstieg in die Kernenergie präsentiert.
So erklärte Frau Prof. Dagmara Strumińska-Parulska von der Universität Danzig, dass Polens Energiepolitik bis 2040 auf drei Säulen basiere: faire Transition, emissionsfreie Energie – einschließlich Offshore-Windenergie und Kernkraft – sowie gute Luftqualität. Dabei sollten 25 Prozent der zukünftigen Energieversorgung des Landes von sechs AKWs abgedeckt werden. Das erste Atomkraftwerk solle ca. 80 Kilometer nordwestlich von Danzig in der Gegend von Kopalino-Lubiatowo entstehen. Die Fakultät für Chemie der Universität Danzig sei gut ausgerüstet, Strahlenbelastungen zu überwachen. Sie erläuterte auch, dass die vom polnischen Gesetz festgelegten Grenzwerte der Strahlendosis für Atomkraftwerke deutlich niedriger seien, als die Grenzwerte für natürliche Strahlung. Natürliche Radionuklide seien in der Luft, im Wasser und in vielen Produkten, wie Nahrungsmittelergänzungen und Zigaretten, präsent. Obwohl natürliche Strahlung ebenfalls Einfluss auf Menschen und Tiere haben könne, seien ihre Effekte nicht genügend erforscht und ihre Berücksichtigung fehle in der Diskussion über künstliche Strahlung.
Anschließend merkte Herr Prof. Wacław Gudowski vom Royal Institute of Technology (KTH) und vom Orlen Synthos Green Energy (OSGE) an, dass die Debatte über Kernkraft sich zu sehr auf die Abwägung von Risiken konzentrierte, während die Vorteile und Möglichkeiten öfter vergessen würden. Er erinnerte daran, dass Gas vor dem Ukraine-Krieg lange Zeit als Übergangslösung gegolten habe. Wenn man jedoch die Umweltgefahren von Methanfreisetzungen und -lecks genauer betrachte, stelle man fest, dass Gas nie eine umweltfreundliche Option gewesen sei. Die Frage, die Herrn Prof. Gudowski in erster Linie beschäftige, sei folgende: Womit könne die alternde Energieinfrastruktur Polens ersetzt werden, um sichere Versorgung zu garantieren und dabei die mit Erneuerbaren verbundene Instabilität zu vermeiden? Atomkraft sei mit Blick auf ihre Effizienz die naheliegende Wahl. Bis zu 95 Prozent des Nuklearmaterials könne potentiell recycelt werden; Minireaktoren der vierten Generation könnten in dieser Hinsicht eine Lösung anbieten. Sie seien zudem sicher, platzsparend, könnten schneller und dank Größenvorteilen und Serienproduktion kosteneffektiver gebaut werden. Zum Schluss unterstrich er, dass die Gefahren und Risiken bei der Erzeugung von Atomstrom quantitativ mit Biogas vergleichbar seien, wobei Braunkohle am gefährlichsten sei.
Die Vorträge und Inputs der Sachverständigen haben für eine lebhafte Diskussion gesorgt. Einige Arbeitsgruppenmitglieder erinnerten an die Langzeitfolgen der Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima und wiesen auf die potentiellen Gefahren von Atomenergie mit Blick auf die aktuellen geopolitischen Entwicklungen und die Situation um das Atomkraftwerk in Saporischschja in der Ukraine im Besonderen hin. Zudem wurden Fragen über den realistischen Zeitrahmen für den Einsatz von Minireaktoren sowie für die Entwicklung von Recyclingtechnologien für Nuklearmaterial gestellt.
Im Anschluss sprach Herr Grzegorz Kupczak vom Słowiński Nationalpark und Biosphärenreservat über die Zusammenarbeit mit Stakeholdern sowie internationale Kooperationsprojekte für die Förderung von Nachhaltigkeit in der Ostseeregion. Der Słowiński Nationalpark zähle zu den ältesten Biosphärenreservaten in Polen – dieser Status sei ihm im Jahr 1977 durch UNESCO verliehen worden. In den Jahren 2015 bis 2017 seien jedoch Reformen notwendig gewesen, um den Status beizubehalten, da der Słowiński Nationalpark zusätzlich zu seiner Schutzfunktion auch die Entwicklungs- sowie die Forschungs- und Bildungsfunktionen ausbauen müsste. Herr Kupczak betonte, dass das Biosphärenreservat keine Naturschutzzone darstelle – diese sei auf den Nationalpark beschränkt. Vielmehr koordiniere das Biosphärenreservat verschiedene Arten der Landnutzung und erlaube in unterschiedlichem Maße sowohl Siedlung als auch Entwicklung. Ferner berichtete er über die 2017 ins Leben gerufenen Kooperationsinitiative „Biosphäre für das Baltikum“, der unter anderem Reservate in Deutschland, Dänemark, Schweden und Estland angehörten. Zu den Zielen zählten Intensivierung des Dialogs zwischen Biosphärenreservaten im Ostseeraum, öffentliche Sensibilisierung, Austausch von bewährten Praktiken und Erfahrungsaustausch. Das aufgebaute Netzwerk verstärke die Zusammenarbeit, von der alle teilnehmenden Reservate profitierten.
In der darauffolgenden Fragerunde erläuterte Herr Kupczak auf Nachfrage von Frau Vizepräsidentin Schlupp, dass die Erweiterung der Nationalparks in Polen sich aufgrund der Bedenken lokaler Gemeinschaften als schwierig darstellte. Obwohl Biosphärenreservate nicht im polnischen Gesetz verankert seien und auf freiwilliger Selbstverpflichtung basierten, würden mögliche künftige Einschränkungen mit Besorgnis betrachtet. Der Słowiński Nationalpark kooperiere daher mit lokalen Stakeholdern und biete ihnen Unterstützung an, zum Beispiel durch Werbung für lokale Produkte.
Abschlussempfehlungen der Arbeitsgruppe: Ein umfassender Katalog gemeinsamer Vorschläge
Zusätzlich zum Austausch über nationale und lokale Praktiken stand die Vorbereitung der Abschlussempfehlungen und des Abschlussberichts auf der Agenda der Arbeitsgruppensitzung in Danzig. Eingangs bedankte sich der Arbeitsgruppenvorsitzende Philipp da Cunha für die intensive Zusammenarbeit in den vergangenen drei Jahren und richtete seinen besonderen Dank an die Parlamente von Schweden, Schleswig-Holstein, Åland, Mecklenburg-Vorpommern, Norwegen und Polen für die Ausrichtung der insgesamt acht digitalen und persönlichen Treffen. Der Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern von internationalen Organisationen, Zivilgesellschaft, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Jugend habe eine umfangreiche und solide Grundlage für die Resolutionsempfehlungen geschaffen. Besondere Aufmerksamkeit erregte ein polnischer Vorschlag, der sich zur Zukunft der Atomenergie verhielt. Er wurde zugunsten einer Formulierung, die auf die aktuellen Energiestrategien der Mitgliedsstaaten eingeht, gestrichen.
In Zuge der Abschlussbesprechungen hat sich die Arbeitsgruppe auf 25 vorläufige Vorschläge und Forderungen für die Resolution der 32. Ostseeparlamentarierkonferenz am 27.–29. August in Berlin geeinigt. Die Resolution soll im Konsens aller Mitgliedsparlamente auf der Jahreskonferenz beschlossen werden. Zudem wird ein Sitzungsabschnitt auf der Jahreskonferenz der Vorstellung des Abschlussberichts gewidmet. Neben Zusammenfassungen der Expertenvorträge und Sitzungsabläufen wird der Abschlussbericht umfangreiche Antworten der Regierungen auf die Umfrage der Arbeitsgruppe sowie Regierungsstellungnahmen zur Umsetzung entsprechender Forderungen der 30. und 31. Ostseeparlamentarierkonferenz beinhalten. Die aktuelle Stellungnahme der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern zur Umsetzung der Resolution der 31. BSPC wurde auf Drucksache 8/2106 veröffentlicht.