Zur Hauptnavigation springen Zum Inhalt springen

Expertenanhörung des Parlamentsforums Südliche Ostsee: aktuelle sicherheitspolitische Herausforderungen und Perspektiven im Fokus

  • Familienfoto: Expertenanhörung und Redaktionskonferenz am 17.-18. Juni in Hamburg (Foto: Hamburgische Bürgerschaft/Jessica Mintelowsky)
  • Expertenanhörung des Parlamentsforums Südliche Ostsee am 17. Juni in Hamburg (Foto: Hamburgische Bürgerschaft/Jessica Mintelowsky)

Am 17.–18. Juni 2024 trafen knapp vierzig regionale Abgeordnete und Sachverständige aus dem südlichen Ostseeraum in der Hamburgischen Bürgerschaft zusammen, um sich über die aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklungen und mögliche gemeinsame Maßnahmen auszutauschen. Seitens des Landtages Mecklenburg-Vorpommern nahmen die Präsidentin Frau Birgit Hesse und die Abgeordneten Frau Beatrix Hegenkötter und Herr Hannes Damm an der Sitzung teil.

Die Expertenanhörung und Redaktionskonferenz im Rahmen des Parlamentsforums Südliche Ostsee finden traditionell in Vorfeld der Jahreskonferenz statt und dienen der inhaltlichen Vorbereitung eines gemeinsamen Resolutionsentwurfs. In diesem Jahr ist das zwanzigste Jubiläumsforum dem hochaktuellen Thema „Sicherheit im südlichen Ostseeraum“ gewidmet.

Regionale Zusammenarbeit im Kontext der neuen europäischen Sicherheitsarchitektur

Gleich zu Beginn des Expertentreffens klärte Herr Johannes Peters vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel den Irrtum auf, dass die Ostsee mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens ein „NATO-Meer“ geworden sei. Diese Bezeichnung könne gefährlich sein, da russische Fähigkeiten in der Ostsee nicht verschwunden seien. In einem Konfliktfall wäre die Ostsee durch die NATO offenzuhalten, da vor allem die nördlichen Staaten wie Finnland anders nicht versorgt werden könnten. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen garantiere allen Staaten die freie Nutzung der Meere. Als Wertegemeinschaft dürfe die NATO in der Ostsee nicht völkerrechtswidrig handeln. Die strategischen Voraussetzungen hätten sich nach der Norderweiterung zwar zu Gunsten von NATO verschoben. Dies erfordere jedoch strategische Anpassungen. Denn europäische Staaten würden sich nicht mehr in einem Friedensszenario, sondern in einem Krisenszenario befinden. Russland setze hybride Angriffe ein, um Verunsicherung zu sähen. Es solle darüber gesprochen werden, wie solche Handlungen sanktioniert werden könnten.

Anknüpfend daran verschaffte Herr Dr. Cornelius Friesendorf vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) einen Überblick über die aktuellen Herausforderungen der neuen europäischen Sicherheitsordnung. Aufgrund des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine habe ein fundamentaler Wandel der Regionalkooperation – von inklusiver zu exklusiver Zusammenarbeit – stattgefunden. Die Isolation von Russland und die Kritik an dessen Vorgehen sei elementar; auch die Zusammenarbeit mit russischen regionalen Parlamenten und Regierungen sei nicht zielführend, da diese von der Zentralregierung in Moskau politisch abhängig seien. Die europäische Kooperation gegen Russland führe jedoch dazu, dass es keine Zusammenarbeit besonders im Naturschutz und bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität mehr gebe. Es brauche eine klare und offene politische Debatte über die Kosten und Risiken einer exklusiven Sicherheitspolitik. Man befinde sich im Systemwettbewerb mit effektiven Autokratien wie China und müsse den Wert der Demokratie nicht nur deklaratorisch, sondern auch praktisch immer neu beweisen. Gleichzeitig solle die neue Sicherheitsordnung die langfristige Veränderung in Russland möglich machen. Dies würde bedeuten, die russische Zivilgesellschaft zu unterstützen, ohne die zentralen politischen Institutionen in Russland zu legitimieren. Denn der Kreml profitiere von einer Wagenburg-Mentalität im Inneren und habe Interesse daran, zwischengesellschaftliche Kontakte zu behindern.

Mit Blick auf die Destabilisierungsversuche von Russland sprach Herr Dr. Paweł Kusiak von der Marineakademie in Gdynia über mögliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformationen. Angesichts aktueller hybrider Bedrohungen, die innergesellschaftliche Spaltung zum Ziel hätten, könne nur gute Bildung die gesellschaftliche Resilienz stärken. Soziale Medien und Internetplattformen dürften nicht für Manipulationen missbraucht werden; doch es sei ein Irrtum zu glauben, dass Zwangsmaßnahmen und Verbote gegen Desinformation schützen könnten. Nicht nur Jugendliche seien von gezielten Desinformationskampagnen betroffen, denn Fehlinformationen und Meinungsmanipulation seien gegen die gesamte Gesellschaft ausgerichtet. Daher seien Maßnahmen zur Förderung von Medienkompetenz und des kritischen Umgangs mit Informationen für alle Bevölkerungsgruppen von hoher Bedeutung. Als Beispiele bewährter Praktiken nannte Herr Dr. Kusiak das Bildungsprojekt „Demagog“ und spielerische Übungen zur Bewertung von Informationsquellen (unter Anwendung des so genannten CRAAP Tests). Ziel sei es, kritisches Denken und gute Ideen gegen Desinformationen zu entwickeln. Abschließend warf er die Frage auf, was Regionen tun könnten, um sich gegen Desinformation zu schützen und dabei die demokratische Werte aufrechtzuerhalten.

Praktische regionale Kooperation: Förderung gesellschaftlicher Krisenresilienz und grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit

Über konkrete Maßnahmen zur Förderung der gesellschaftlichen Krisenresilienz auf regionaler Ebene berichtete Herr Mateusz Wiśniewski, Koordinator für Verteidigung und öffentliche Sicherheit im Marschallamt der Woiwodschaft Westpommern. Die Selbstverwaltung arbeite mit NGOs und anderen Organisationen zusammen, um die Bevölkerung auf Katastrophenfälle vorzubereiten. Gemeinsam mit dem polnischen Roten Kreuz würden Erste-Hilfe-, Brandschutz- und Hochwasserschutzübungen durchgeführt. Auf der lokalen Ebene in Polen handle es sich dabei primär um Freiwillige. Westpommern würde vor allem in Menschen investieren, um ihnen die notwendigen Fertigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln.  Polnische Rettungskräfte würden sich auch an internationalen Übungen beteiligen. Diese Zusammenarbeit sei jedoch nicht selbstverständlich, sondern müsse regelmäßig trainiert werden; man benötige gemeinsame Strukturen, Prozeduren und Algorithmen. Sprachbarrieren hätten bei bereits durchgeführten Übungen die Hilfeleistungen verlangsamt. Das müsse auf allen Seiten geübt werden, um im Krisenfall effektiv miteinander arbeiten zu können.

Die Bedeutung praktischer internationaler Kooperation wurde auch durch Herrn Heiko Tesch vom Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern hervorgehoben, der diese am Beispiel grenzüberschreitender polizeilicher Zusammenarbeit mit Polen verdeutlichte. Herr Tesch wies darauf hin, dass Mecklenburg-Vorpommern angesichts seiner direkten Verbindungen nach Skandinavien und ins Baltikum eine exponierte kriminalgeographische Rolle einnehme. Der Schwerpunkt internationaler Zusammenarbeit der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern liege auf der Kooperation mit den Ostseeanrainerstaaten, wobei die Zusammenarbeit mit Polen integraler Bestandteil einer durch Freundschaft, Vertrauen und Respekt geprägten Nachbarschaftskultur sei. Herr Tesch ging im Detail auf die bestehenden Kooperationsformate ein, zum Beispiel das gemeinsame Zentrum für Polizei- und Zollzusammenarbeit in Świecko und die internationale Sicherheitskonferenz „Danziger Gespräche“. Unter gemeinsamen Projekten führte er die Initiierung eines deutsch-polnischen Polizeiteams zwischen dem Polizeirevier Heringsdorf und der Stadtkommandantur der polnischen Polizei in Swinemünde/Świnoujście, die Aus- und Fortbildungsmaßnahme „Einander verstehen um gemeinsam zu handeln“ sowie die Weiterführung des seit 2004 bestehenden deutsch-polnischen Präventionsprojektes "Sicherheit im Nachbarland – U sąsiada bezpiecznie“ aus. Die internationale, polizeiliche Zusammenarbeit sei ein zunehmender erfolgskritischer Faktor bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität. Dazu bedürfe es auf allen Ebenen der weiteren Verstetigung belastbarer strategischer und operativer Beziehungen zwischen deutschen und polnischen Polizei- bzw. Justizbehörden. Zentral sei dabei unter anderem auch der Abbau von Sprachbarrieren durch die Förderung von Fremdsprachenkompetenz. Die Danziger Gespräche zur Sicherheitspolitik hob er besonders hervor. Diese zwischenstaatliche Einrichtung werde voraussichtlich im Jahre 2025 wieder aufgelegt.

Gemeinsame Vorgehen und Forderungen

Die Notwendigkeit und der Stellenwert der Stärkung gesellschaftlicher Resilienz und internationaler Zusammenarbeit wurde in der Diskussion widerholt unterstrichen. Die Landtagspräsidentin, Frau Birgt Hesse, hob hervor, wie wichtig es sei, den Menschen die Fertigkeiten und die Kenntnisse zu vermitteln, sich selbst und anderen im Krisenfall zu helfen. Auch die Stärkung der gesamteuropäischen und nationalen Verteidigungskapazitäten sei notwendig. „Der Krieg hat gezeigt, dass wir ein starkes Europa brauchen“, so Frau Hesse.

Die Denkanstöße der Expertenanhörung wurden nachfolgend in der Redaktionskonferenz zur Vorbereitung eines gemeinsamen Resolutionsentwurfs vertieft. Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern wurde in der Redaktionssitzung durch Frau Präsidentin Hesse und Frau Hegenkötter vertreten. Die Resolution soll im Konsens aller Mitgliedsparlamente auf der Jahreskonferenz am 15.–17. September in Glücksburg verabschiedet werden.

Im Parlamentsforum Südliche Ostsee arbeitet der Landtag Mecklenburg-Vorpommern mit der Hamburgischen Bürgerschaft, dem Landtag Schleswig-Holstein und den Sejmiks der Woiwodschaften Ermland-Masuren, Pommern und Westpommern zusammen.

War der Artikel hilfreich?
Nein

Teilen Sie uns Ihr Feedback mit

Ihr Kommentar ist anonym und wird nicht auf der Seite veröffentlicht. Es dient nur der internen Auswertung.

200 Zeichen
Teilen