Forschung, Migration und demografischer Wandel: Tilo Gundlack, MdL bei der 162. Plenartagung des Europäischen Ausschusses der Regionen
Auf der 162. Plenartagung des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR), die vom 7. Oktober bis zum 9. Oktober 2024 stattfindet, wird der Landtagsabgeordnete Tilo Gundlack das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern in Brüssel vertreten.
Auf der Tagesordnung steht die Annahme von insgesamt elf Stellungnahmeentwürfen und einer Entschließung zur Lage der Regionen und Gemeinden in der EU. Die scheidende EU-Kommissarin für Kohäsion und Reformen, Elisa Ferreira, wird gemeinsam mit den AdR-Mitgliedern im Vorfeld die Situation in den Regionen und Städten erörtern.
Debattieren werden die AdR-Mitglieder auch mit der Präsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB), Nadia Calviño.
Ein europäischer Windkraft-Aktionsplan
Der Vorschlag der EU-Kommission für einen europäischen Windkraft-Aktionsplan COM(2023) 669 final zur Unterstützung der europäischen Windkraftunternehmen betont, dass die Windenergie im Jahr 2022 durchschnittlich 16% des in der EU verbrauchten Stroms geliefert habe, die Ausbaugeschwindigkeit bis 2030 jedoch verdoppelt werden müsse. Denn die Erneuerbare-Energien-Richtlinie sieht ein verbindliches Mindestziel von 42,6% für den Anteil der Erneuerbaren vor, das später auf 45% angehoben werden soll.
Der Entwurf einer Stellungnahme des AdR geht unter anderem auf die Skepsis oder Ablehnung der örtlichen Anwohner gegenüber Windkraftvorhaben ein.
In Mecklenburg-Vorpommern, das stark durch den Tourismus geprägt ist, existieren beispielsweise Bedenken innerhalb der Bevölkerung, dass durch die Erweiterung des Netzes der Windkraftanlagen die hiesige, in großen Teilen unverbaute Landschaft zerstört, und dadurch dem Tourismus geschadet werde.
Die AdR-Stellungnahme befürwortet in diesem Zusammenhang Entschädigungsmodelle und finanzielle Anreize wie vergünstigte Energietarife oder die Beteiligung über Energiegenossenschaften. Laut der Stellungnahme des AdR sei der Windkraft-Aktionsplan für die Dekarbonisierung, Energieunabhängigkeit und saubere, erschwingliche Energiegewinnung und Beschäftigung bedeutsam. Somit solle an der Windkraft als Schlüsselindustrie zur Verwirklichung des Grünen Deals der EU festgehalten werden. Deren Windkraftaktionsplan, der parallel zur Strategie für erneuerbare Offshore-Energie angenommen werden soll, sieht einen beschleunigten Ausbau durch bessere Berechenbarkeit und schnellere Genehmigungsverfahren vor, daneben ein verbessertes Auktionsdesign und Zugang zu Finanzmitteln sowie die Schaffung eines fairen und wettbewerbsorientierten internationalen Umfelds. Außerdem will der Plan neben der industriellen Beteiligung und Verpflichtung der Mitgliedstaaten die nötigen Kompetenzen der in der Windindustrie Beschäftigten/ ein ausreichendes Fachkräfteangebot erreichen: Eine Akademie speziell für die Windkraft soll auf der Grundlage der Netto-Null-Industrie Verordnung zur Aus- und Weiterbildung beitragen.
Angesichts globaler Wettbewerbsverzerrungen ruft die Stellungnahme zudem zur Schaffung eines Gütesiegels “Made in Europe“ auf. Des Weiteren betont sie die Bedeutsamkeit lokaler Lieferketten, Wiederverwertbarkeit der Materialien und Beachtung des CO2-Abdrucks, systemischer Weichenstellungen für Speicherung, Transport und Verteilung von Windenergie und angemessener Einbeziehung der Bevölkerung sowie der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften. Letztere hätten in der EU-Windkraft-Charta aus dem Jahr 2023 keine Berücksichtigung gefunden.
Bewältigung des demografischen Wandels in Europa
Die Überalterung der Bevölkerung in der EU bringe laut Mitteilung der EU-Kommission COM(2023) 577 zahlreiche Herausforderungen mit sich, wie z.B. rückläufige Staatseinnahmen aus Steuern/Sozialversicherungsbeiträgen, einen Rückgang der Zahl der Arbeitskräfte, der Produktivität, der unternehmerischen Tätigkeit und Investitionen, einen Wandel der gesellschaftlichen Bedarfe (medizinische Versorgung/Pflege, Infrastruktur/Verkehr, ans Alter angepasste Arbeitsbereiche, Wohnen) und einen abnehmenden geopolitischen Einfluss der EU.
In Mecklenburg-Vorpommern, das unter den 16 deutschen Bundesländern am zweitstärksten von Überalterung betroffen ist, werden bis zum Jahr 2040 ein Einwohnerrückgang von 7,3 % und ein Verlust an potentiellen Erwerbstätigen von 20 % erwartet, wobei die Landkreise Mecklenburgische Seenplatte und Vorpommern-Greifswald voraussichtlich am stärksten betroffen sein werden. Der Anteil der Pflegebedürftigen ab 65 Jahren wird um rund 3 Prozentpunkte zunehmen.
Die Mitteilung sieht vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit, das Berufsleben der Menschen mit dem Privatleben vereinbar zu machen - unter anderem durch flexible Arbeitsregelungen - und die Rahmenbedingungen für eine Entscheidung für Kinder zu verbessern (u.a. hinsichtlich Lebensqualität, Wohnraum, Betreuung, Beschäftigung, Einkommen, Geschlechtergleichstellung, bezahltem Vaterschafts-/Elternurlaub, Telearbeit). Auch auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten junger Menschen müsse laut EU-Kommission stärker eingegangen werden. Zudem bestehe Verbesserungspotential hinsichtlich der Beschäftigungsquote der 55-64-Jährigen und der öffentlichen Finanzen.
Die weltweite Anwerbung von Arbeitskräften erfordere außerdem gezielte Initiativen zur Arbeitsmigration, um Engpässe zu vermeiden, die nicht durch einheimische Arbeitskräfte ausgeglichen werden können.
Der Entwurf einer Stellungnahme des AdR thematisiert die oben benannten Herausforderungen des demografischen Wandels in Europa und die ungleiche Bevölkerungsverteilung. Diese Entwicklungen erhöhten den Druck auf öffentliche Haushalte und verstärkten regionale Ungleichheiten.
Der Entwurf fordert demzufolge die Verbesserung von Betreuungs- und Pflegesystemen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu fördern, und betont ebenfalls die Bedeutung öffentlicher Maßnahmen zur Unterstützung der Elternschaft. Die Kohäsionspolitik solle gestärkt und demografische Ziele in zukünftige Finanzrahmen aufgenommen werden, um „Talententwicklungsblockaden“ in betroffenen Regionen zu verhindern.
Zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen solle außerdem eine neue Struktur innerhalb der EU-Kommission geschaffen werden, die Gender-Mainstreaming integriert. Es werden Initiativen zur Geschlechtergleichstellung und zur Steigerung der Geburtenrate gefordert, einschließlich eines Europäischen Tags der Familien. Ziel ist es, durch koordinierte Maßnahmen auf allen Ebenen die Wettbewerbsfähigkeit der EU langfristig zu sichern.
EU-Durchführungsplan im Bereich Migration- und Asyl
Der AdR wird zudem einen Stellungnahmeentwurf zum EU-Durchführungsplan für das Migrations- und Asylpaket annehmen.
Die EU-Kommission hat einen Durchführungsplan vorgelegt, der der Umsetzung des Asyl- und Migrationspakts bis Mitte 2026 garantieren soll.
Die Rechtsgrundlage des im Juni 2024 von der EU-Kommission vorgelegten EU-Durchführungsplans im Bereich Migration und Asyl sind die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement und die Asylverfahrensverordnung. Die EU-Mitgliedstaaten müssen dem Plan zufolge unter anderem die nationalen Rechtsrahmen überprüfen und den Asylbehörden/Grenzschutzbeamten datenschutzrechtskonform rechtlichen und operativen Zugang zum Eurodac-System, also zu einer europäischen biometrischen Datenbank, gewährleisten, das umgestaltet werden soll. Auch der Zugang zu Interpol- und Europol-Daten für die ermächtigten Bediensteten der Screening-Behörden muss sichergestellt werden.
Die Möglichkeit der Einhaltung der Fristen (sieben Tage für ein Screening von Migranten, jeweils 12 Wochen für ein Asylverfahren an der Grenze und für ein Rückkehrverfahren an der Grenze) und für das „Festhalten“ der Migranten an der Grenze soll ferner geschaffen werden. Außerdem müssen die EU-Mitgliedstaaten die Implementierung der Neufassung der Richtlinie über Aufnahmebedingungen umsetzen.
Richtlinienvorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Rahmen von Praktika
Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Praktikumsrichtlinie wendet sich gegen die problematische Nutzung von Praktika durch Praktikumsanbieter, gegen minderwertige Praktika und den ungleichen Zugang zu selbigen. Sie strebt zudem an, die Arbeitnehmerschaft mit einschlägigen Kompetenzen zu erweitern und so zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und zur sozialen Inklusion beitragen.
Der AdR unterstützt in seinem Stellungnahmeentwurf die Empfehlung des Europäischen Rates für einen verstärkten Qualitätsrahmen für Praktika und begrüßt die vorgeschlagenen Regularien zur Bekämpfung rechtswidriger Scheinpraktika. Er betont die Bedeutung von Praktika zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, äußert jedoch Besorgnis über die hohe Zahl unbezahlter und minderwertiger Praktika.
Der AdR fordert klare Kriterien für Praktika, eine Mindestdauer von einem Monat und eine Höchstdauer von sechs Monaten, sowie gleiche Rechte für Praktikanten wie für reguläre Arbeitnehmer, einschließlich Sozialschutz, Arbeitsschutz und einer Vergütung, die die Lebenshaltungskosten deckt. Die Mitglieder sprechen sich außerdem für ein EU-weites Verbot unbezahlter Praktika und die Einführung von Anreizen für Arbeitgeber aus, über Praktika öffentlich zu berichten.
Zusätzlich empfiehlt der AdR die Einrichtung einer EU-Datenbank zur Überwachung der Wirksamkeit von Praktikumsprogrammen und fordert die Aufklärung der Praktikanten über ihre Rechte. Darüber hinaus betont er die Notwendigkeit einer wirksamen Überwachung und Durchsetzung der Regelungen durch die EU-Mitgliedsstaaten und einer geringen administrativen Belastung für KMU. Der AdR ruft zudem zu einer stärkeren Zusammenarbeit auf, um qualitätsorientierte und inklusive Praktika zu fördern.
EU-Fonds für den gerechten Übergang
Der Stellungnahmeentwurf zum EU-Fonds für den gerechten Übergang (engl. Abkürzung JTF für Just Transition Fund) benennt die Brennstoffproduktion und -verarbeitung, den (Braun)kohle- und Torfabbau sowie die industrielle Fertigung als von hohen Arbeitsplatzverlusten betroffene Industriezweige. Er fordert Maßnahmen unter anderem zur Unterstützung der Kohle- und Automobilregionen.
Aus Sicht des Entwurfs sollte der Anwendungsbereich des Fonds für einen gerechten Übergang 2021-2027 künftig auf andere Sektoren ausgeweitet und seine Einbettung in den EFRE und ESF erfolgen.
Des Weiteren wird der AdR Stellungnahmeentwürfe über die Widerstandsfähigkeit der Gemeinden und Regionen angesichts wirtschaftlicher Schocks, über die Wiederaufbau- und Resilienzfazilität, über einen EU-Mobilitätsdatenraum, über den Tourismus in Gebiete der Heimat der Vorfahren sowie über den vertrauenswürdigen Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und das EU-Forschungsrahmenprogramm verabschieden.
Im Rahmen einer weiteren Debatte soll auch über die vergangenen zwanzig Jahre seit der EU-Erweiterung im Jahr 2004 reflektiert werden.