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Informationsbesuch des Wissenschafts- und Europaausschusses zur Gedenkarbeit in Neubrandenburg

  • Die Ausschussmitglieder beim Rundgang mit Dr. Jaiser und Dr. Müller-Butz von der Geschichtswerkstatt zeitlupe auf dem Gelände des KZ Gedenkortes Waldbau im Nemerower Holz (Foto: Landtagsverwaltung)
  • Gedenkinstallation "Namenstränen" im ehemaligen Barackenbereich der Zwangsarbeiterinnen des KZ Gedenkortes Waldbau im Nemerower Holz (Foto: Landtagsverwaltung)
  • Die Ausschussmitglieder im Gespräch mit Birger Maßmann (links), Abteilungsleiter für Kultur der Stadt Neubrandenburg und Dominik Meyer zu Schlochtern (im Vordergrund), Fachbereichsleiter für Kultur der Stadt Neubrandenburg. (Foto: Landtagsverwaltung)
  • Dr. Constanze Jaiser, Leiterin des Projektes Geschichtswerkstatt zeitlupe und Christian Utpatel, Geschäftsführer der RAA - Demokratie und Bildung Mecklenburg-Vorpommern e. V. erläutern den Abgeordneten die Schwerpunkte ihrer Arbeit. (Foto: Landtagsverwaltung)

Im Rahmen seiner 45. Sitzung hat der Ausschuss einen Informationsbesuch zum Thema Gedenkarbeit am 18. Januar 2024 in Neubrandenburg zusammen.

Der erste Termin führte die Abgeordneten ins Haus der Kultur- und Bildung für ein Gespräch mit Birger Maßmann (Abteilungsleiter für Kultur) und Dominik Meyer zu Schlochtern (Fachbereichsleiter für Kultur der Stadt Neubrandenburg). Den Ausschussmitgliedern wurde eingangs die Arbeit der Stadtverwaltung vorgestellt. Seit 2016 gebe es eine eigene Mitarbeiterin für Gedenkarbeit in der Abteilung Kultur. Die Geschichte der Stadt sei wechselvoll und es gebe viele Ereignisse und Entwicklungen, die der historischen Aufarbeitung, Betrachtung und Vermittlung bedürften, was ein wichtiges Aufgabengebiet der städtischen Gedenkarbeit sei. Dabei arbeite man unter anderem eng mit dem Stadtarchiv und dem Regionalmuseum zusammen, die diese Themen bearbeiteten. Neubrandenburg und die umliegende Region verfügte über bedeutsame Gedenkorte, sodass ein städtisches Gedenkkonzept erarbeitet worden sei. Das Konzept habe drei Themenschwerpunkte: NS-Unrecht (1939-1945), Unrecht in der sowjetischen Besatzungszone (1945-1948) und DDR-Unrecht (1945-1989). Seit 1990 habe die Stadt qualifizierte Angebote geschaffen, so zum Kriegsgefangenenlager in Fünfeichen, dem KZ Gedenkort Waldbau, der Torpedoversuchsanstalt, aber auch zum jüdischen Leben und der Verfolgung sowie erlittenem SED-Unrecht in der Stasi-Haftanstalt auf dem Lindenberg. Die städtische Gedenkarbeit werde durch Ausstellungen, Schülerprojekte, politische Bildung für Erwachsene sowie Gedenkveranstaltungen realisiert. Dabei sei die Stadt Partner und Unterstützer von Engagierten und Ehrenamtlichen soweit dies im Rahmen der eigenen personellen und finanziellen Möglichkeiten sowie rechtlichen Rahmenbedingungen möglich sei. Auch zukünftig wolle man die Sichtbarkeit und Zusammenarbeit mit Initiativen und Engagierten weiter fördern, da die vielfältigen Anforderungen an die Erinnerungsarbeit nicht ausschließlich von der Stadt getragen werden könnten. So gebe es beispielsweise seit der Schließung der JVA Neubrandenburg 2018 einen neuen Themenschwerpunkt zum DDR-Unrecht. Die notwendige Forschungsarbeit hierzu könne die Stadt jedoch nicht allein umsetzen, daher sei eine Förderung durch Bund und Land wünschenswert. Ebenso strebe man diesbezüglich eine Bildungszusammenarbeit mit Neustrelitz an, um die Stadt zusammen mit der Stasi-Haftanstalt Töpferstraße Neustrelitz sowie dem Stasi-Unterlagen-Archiv und der Hochschule Neubrandenburg Angebote sichtbarer zu machen und sich untereinander zu vernetzen, da es eines würdigen Gedenkortes für die Opfer erlittenen SED-Unrechts bedürfe. In diesem Zusammenhang wurde auf die derzeitige Diskussion zur Immobilie der ehemaligen Haftanstalt aufmerksam gemacht. Das Meinungsbild der Stadt umfasse verschiedene Ideen, beispielsweise als Demokratiezentrum/Begegnungsstätte oder aber der Abriss zugunsten des sozialen Wohnungsbaus sowie Teilabriss und Teilnutzung. Es seien diverse Ergebnisse unter Beteiligung von Bürgerforen vorhanden, jedoch sei der momentane Diskussionsprozess noch nicht abgeschlossen.

Im Anschluss daran trafen sich die Mitglieder in der Pädagogischen Werkstatt der RAA – Demokratie und Bildung Mecklenburg-Vorpommern e. V. mit dem Geschäftsführer Christian Utpatel sowie der Leiterin des Projektes Geschichtswerkstatt zeitlupe, Dr. Constanze Jaiser und ihrem Kollegen Dr. Martin Müller-Butz. Es wurde dargelegt, dass die RAA vor allem als Kooperationspartner für Engagierte aus Kitas, Schulen, Politik, Verwaltung, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft in vielfältigen Projekten und Bildungsangeboten agiere und diese betreue. So auch die Geschichtswerkstatt zeitlupe, die es seit 2016 gebe und sich inhaltlich der Bildungsarbeit zur Geschichte des Nationalsozialismus in der Stadt Neubrandenburg und im ländlichen Raum verschrieben habe. In Neubrandenburg habe es bereits Konzepte zur Gedenkarbeit gegeben, sodass die Werkstatt unterstützend tätig sei. Man pflege eine enge Zusammenarbeit mit der Freudenberg-Stiftung, die auch die Geschichtswerkstatt finanziere, da man hierfür keine Landesmittel erhalte. Grundsätzlich lasse sich ein großer Bedarf an historisch-politischer Bildung feststellen – nicht nur in Neubrandenburg, sondern auch im gesamten Landkreis Mecklenburg-Strelitz. Das vorrangige Ziel sei, die Akteure besser miteinander zu vernetzen und passende Konzepte zu erarbeiten. Man habe anfangs zunächst die Bedarfe abgefragt. So hätten sich drei verschiedene Säulen ergeben, die Hilfe notwendig machten. Die erste Säule sei die anwendungsbezogene Forschung, die zweite Säule das Bewahren und die dritte Säule die Beratung. Die Arbeit umfasse die Themen Demokratie- und Menschenrechtsbildung sowie politisch-historische Bildung und richte sich an Ehrenamtliche, Lehrkräfte, Pädagogische Fachkräfte sowie Schüler. Die Geschichtswerkstatt stelle Materialien und Veröffentlichungen zur Verfügung und realisiere ihre Projekte unter anderem durch Workshops und Mitmach-Angebote ebenso wie durch Beratung und Begleitung. Man entwickle auch pädagogisches Material zusammen mit den Akteuren und pflege Kooperationen mit der Hochschule Neubrandenburg und städtischen Einrichtungen. Des Weiteren gebe es projektorientierte und selbsterforschende Projekte mit Schülerinnen und Schülern vor Ort. Auch grenzüberschreitend würden Projekte angestoßen und realisiert, so zum Beispiel deutsch-polnische Jugendbegegnungen.

Nach dem Informationsaustausch hatten die Ausschussmitglieder die Gelegenheit den nicht öffentlich zugänglichen KZ Gedenkort Waldbau im Nemerower Holz zu besuchen. Vor Ort wurde erläuterte, dass das Land 2018 auf Initiative der ehemaligen Landtagspräsidentin und Neubrandenburger Landtagsabgeordneten Sylvia Bretschneider auf die RAA zugekommen sei, um ein Nutzungskonzept für den Erinnerungs- und Gedenkort zu erarbeiten. Es sei kein leichter Entwicklungsprozess gewesen, da es unterschiedliche Positionen dazu gegeben habe, die aber an Runden Tischen und zusammen mit Vertretern der Zivilgesellschaft erörtert worden seien. Mit Mitteln des Strategiefonds des Landes habe die RAA 2019 ein Konzept erarbeitet, um den Ort sichtbar und pädagogisch erfahrbar zu machen. Das Konzept sei in enger Abstimmung mit der Landesforstverwaltung als Eigentümerin des Geländes, dem Archiv und Regionalmuseum der Stadt sowie der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) und den zuständigen Denkmalschutzbehörden erarbeitet worden. Parallel zur Erschließung des Ortes begleite die Geschichtswerkstatt die pädagogische Arbeit, um diesen als historischen Lernort in Neubrandenburg zu etablieren. So habe man zusammen mit Freiwilligen und Paten seitens des Technischen Hilfswerks das Gelände zugänglich und erfahrbar gemacht. Der Gedenkort sei aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich zugänglich, aber im Rahmen von angemeldeten Führungen durch die Geschichtswerkstatt zu besuchen.

Während des Rundgangs wurden die Ausschussmitglieder zur Historie des Ortes informiert. Neubrandenburg sei mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zum Standort für die Rüstungsindustrie geworden. Aufgrund der Kriegslage 1941 habe es aber einen Mangel an Arbeitern gegeben, sodass man dazu übergegangen sei Kriegsgefangene und Häftlinge aus Konzentrationslagern als Zwangsarbeiter einzusetzen. Zur Unterbringung dieser seien rund um die Stadt Lager errichtet worden. Zwischen 1933 und 1945 seien rund 7 000 weibliche Häftlinge aus dem Konzentrationslager Ravensbrück ins Außenlager an der Ihlenfelder Straße und ins Nemerower Holz verschleppt worden. 1943 habe der Rüstungsbetrieb Mechanische Werkstätten Neubrandenburg den Auftrag erhalten, Zuliefererteile für die von den Nationalsozialisten als Wunder- und Vernichtungswaffe bezeichnete V1-Rakete herzustellen. Für die Produktionsstätte habe man ein geeignetes Gelände gesucht und sei im Wald des Nemerower Holz fündig geworden. Um sich vor Bombenangriffen der Alliierten zu schützen, habe man sich den Wald zunutze gemacht und ein unterirdisches Werk gebaut, in das Teile der Produktion der Ihlenfelder Straße verlegt worden seien. Unter der Anleitung deutscher Zivilarbeiter und der Aufsicht der SS-Wachmannschaft, darunter auch Frauen, hätten die weiblichen KZ-Häftlinge aus der Ihlenfelder Straße die unterirdischen Produktionshallen und Baracken mit wenig technischer Unterstützung errichten müssen. Ab Frühsommer 1944 seien bis zu 2 000 weibliche KZ-Häftlinge in das Außenlager Waldbau gebracht worden, um unter widrigen Bedingungen Zwangsarbeit für die Neubrandenburger Rüstungsindustrie zu leisten. Es sei in 12-Stunden-Schichten von Montag bis Samstag durchgängig gearbeitet worden. Die Bedingungen seien menschenunwürdig gewesen, da neben mangelhafter Ernährung in den unterirdischen Produktionsstätten Kälte, Nässe, schlechte Beleuchtung und laute Maschinen den Arbeitsalltag beherrschten. Der Tod der Zwangsarbeiterinnen sei billigend in Kauf genommen worden. Das Lager sei 1945 durch die rote Armee „befreit“ worden. Von den einstigen Gebäuden seien heute nur noch Fundamentreste erhalten. Die sowjetischen Truppen hätten den Maschinenpark und verwertbare Materialien mitgenommen. Später habe auch die Zivilbevölkerung Materialien nach und nach abgetragen und an anderer Stelle wiederverwendet. Dabei sei auch ein Großteil des Waldes abgeholzt worden. Der heutige Baumbestand entspreche nicht dem Wald von 1944. Zu DDR-Zeiten sei das Gelände Sperrgebiet und somit unzugänglich gewesen. Darüber hinaus habe eine Panzerreparaturwerkstatt das Gelände als Entsorgungsfläche genutzt, was die heutige Erschließung als Gedenkort nicht einfach gemacht habe. Die Fundamente der Häftlingsbaracken, die unterirdischen Produktionshallen sowie der Löschteich seien aber noch gut erkennbar. Abschließend wurde dargelegt, dass die Schicksale der Zwangsarbeiterinnen sich nur schwer rekonstruieren ließen, da es wenig Fundstücke und Dokumente gebe. Die Geschichtswerkstatt habe unter anderem mit Hilfe von Gesprächen mit Zeitzeugen des so genannten Waldstraflagers die Geschehnisse und den Alltag rekonstruieren können. Im Rahmen von verschiedenen Projekten, wie Graffitis zur Zwangsarbeit oder Land-Art-Workshops mit vorhandenen Materialien müssten sich beispielsweise Schülerinnen und Schüler den Ort und die Geschehnisse erarbeiten, um diese fassbar zu machen. So waren die Abgeordneten zum Abschluss des Rundgangs von der Gedenkinstallation der Namenstränen tief bewegt. Dafür hätten Schülerinnen und Schüler mitgeholfen die Namen der weiblichen Insassen zu recherchieren und diese dann auf als Tränen geschnittene Anhänger zu schreiben und im ehemaligen Barackenbereich aufzuhängen.  

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