Regionale Maßnahmen zur Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit: Das 20. Parlamentsforum Südliche Ostsee in Glücksburg
Vom 15. bis 17. September 2024 richtete der Landtag Schleswig-Holstein das 20. Parlamentsforum Südliche Ostsee (PSO) in Glücksburg aus. Mehr als sechzig Abgeordnete, Sachverständige und junge Erwachsene aus Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, sowie aus den polnischen Woiwodschaften Ermland-Masuren, Pommern, Westpommern und aus der südschwedischen Region Schonen versammelten sich zur traditionellen Jahreskonferenz, um einschlägige Forderungen und Empfehlungen an die nationalen und regionalen Regierungen und internationale Organisationen im südlichen Ostseeraum zu beschließen. Das Thema der diesjährigen Jubiläumskonferenz lautete „Sicherheit im südlichen Ostseeraum“. Die Konferenzresolution setzt sich mit unterschiedlichen Aspekten der inneren und äußeren Sicherheit auseinander. Die Konferenzteilnehmenden adressierten ein breites Spektrum an Fragen, die von der Bekämpfung von Desinformationen, dem Schutz kritischer Infrastruktur und dem Zivilschutz, bis hin zu der allgemeinen Bedrohungslage im Ostseeraum und der nuklearen Nichtverbreitung reichten.
Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern wurde durch die Erste Vizepräsidentin Beate Schlupp als Delegationsleiterin, sowie die Abgeordneten Beatrix Hegenkötter, Jens-Holger Schneider, Christian Albrecht, Hannes Damm und Sandy van Baal auf der Jahreskonferenz vertreten. Als Sachverständiger seitens des Landtages hielt der Direktor des Landeswasserschutzpolizeiamtes Mecklenburg-Vorpommern Lutz Müller einen Vortrag über die integrierte maritime Sicherheit im Ostseeraum aus Sicht der Wasserschutzpolizei M-V.
Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit: gemeinsame Ziele und enge Kooperation
Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine seien Foren und Treffen wie die des Parlamentsforums Südliche Ostsee „wichtiger denn je geworden“, so der Minister für Landwirtschaft, ländliche Räume, Europa und Verbraucherschutz Schleswig-Holsteins Werner Schwarz. Doch wirtschaftliche Integration und Zusammenarbeit seien leider keine Garantie für Frieden; entscheidend für das gemeinsame Ziel, die Ostseeregion zu einer Region des Friedens und Wohlstandes zu machen, sei die demokratische Entwicklung.
Auch die Vorsitzende des 20. Parlamentsforums, die Präsidentin des Landtages Schleswig-Holstein, Kristina Herbst unterstrich, dass der Ostseeraum ein Raum der Zusammenarbeit zur Lösung gemeinsamer Probleme sei. Denn die Länder und Regionen der südlichen Ostsee würden vor gemeinsamen Herausforderungen stehen, die gemeinsam angegangen werden müssten. Das Parlamentsforum Südliche Ostsee biete dafür eine passende Plattform. In Anbetracht der sich veränderten geopolitischen Lage und der dadurch offenbarten Fragilität der gemeinsamen Sicherheit in Europa sei Zusammenarbeit die zentrale Aufgabe. Die zwanzigjährige Geschichte des Parlamentsforums habe gezeigt, dass die Mitgliedsparlamente über Kompromisse und tragfähige Lösungen mit gegenseitigem Respekt vor unterschiedlichen Sichtweisen sprechen können und sich in Krisensituationen als regionale Partner beistehen, so die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit. Der Krieg habe nicht nur das subjektive Sicherheitsempfinden, sondern auch die objektive Sicherheitslage beeinträchtigt. Deutschland müsse ein verlässlicher und sicherer Partner bleiben.
Daran anknüpfend erinnerte die Erste Vizepräsidentin des Landtages Mecklenburg-Vorpommern Beate Schlupp, dass große Teile Europas für mehr als siebzig Jahre in der längsten Friedensperiode der gesamten europäischen Geschichte leben könnten. Diese Friedensphase habe auch der Ostseeregion Sicherheit und Wohlstand geschenkt. Das habe sich mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar 2022 geändert. Um die gemeinsamen Sicherheitsherausforderungen zu stemmen, brauche es mehr Kooperation, mehr Koordinierung und mehr Austausch auf allen Ebenen. Vor allem sei jedoch eine offene und klare Kommunikation notwendig – mit den Bürgerinnen und Bürgern, untereinander und mit internationalen Partnern innerhalb der EU und der NATO.
Auch der Vorsitzende der Regionalversammlung der Woiwodschaft Ermland-Masuren Bogdan Bartnicki erinnerte an das gemeinsame Ziel, das Leben der Bürgerinnen und Bürger in den Partnerregionen zu verbessern. Daher sei ein offenes Gespräch über die von Russland ausgehenden Bedrohungen unerlässlich.
Die Abgeordnete des Sejmiks der Woiwodschaft Pommern Kinga Borusewicz unterstrich in diesem Zusammenhang, dass Sicherheit für die regionale Kooperation besonders wichtig sei. Das gegenseitige Vertrauen und der Erfahrungsaustausch spielten dabei eine entscheidende Rolle. Die Sicherheit im Ostseeraum sei nicht nur strategisch und geopolitisch maßgeblich, sie sei wichtig für die Stabilität in ganz Europa, so die Vorsitzende des Sejmiks der Woiwodschaft Westpommern Teresa Kalina. Doch es sei auch ein komplexes Thema, das Fragen der Verteidigung, der Energie- und Cybersicherheit, des Umweltschutzes und der Bildung miteinschließe. Regionale Kooperation spiele eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen, betonte die Vorsitzende des Regionalrates von Schonen Annika Annerby Jansson. Denn Menschen lebten vorwiegend in den Regionen. Wachstum und Wohlstand entwickelten sich in den Regionen, während internationale Zusammenarbeit und Austausch hauptsächlich zwischen Regionen stattfinden.
Interne Resilienz und Sicherheit stärken: Zivilschutz und maritime Sicherheit
„Wir befinden uns derzeit in einer Situation der Bedrohung“, eröffnete Andrzej Styczyński vom Marschallamt der Woiwodschaft Westpommern seinen Vortrag über die geplanten Rechtsänderungen im Bereich des Bevölkerungsschutzes in Polen. Ziel dieser Gesetzesentwürfe sei es, die Fähigkeiten des Zivilschutzes in Krisenzeiten und im Falle des Kriegsrechts zu verbessern. Dabei werde auf die Vorgaben der EU, internationale Abkommen und die existierende polnische Gesetzgebung geachtet. Der Zivilschutz und die Zivilverteidigung sollten sicherstellen, dass der Staat in der Lage sei, die Zivilbevölkerung im Falle von Konflikten und Naturkatastrophen zu schützen. Dafür sollten die Zuständigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen klarer definiert werden.
Frau Annika Annerby Jansson warf ihrerseits einen Blick auf das schwedische Modell des Zivilschutzes. Der schwedische gesamtgesellschaftliche Ansatz erfordere die Zusammenarbeit zwischen der Regierung, dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft. Ein Instrument sei ein Faltblatt mit dem Titel „Wenn eine Krise oder ein Krieg kommt“ – mit Handlungsanweisungen für Krisensituationen. Ursprünglich im Jahr 1943 veröffentlicht, sei es 2018 an alle Haushalte verteilt worden. Im Jahr 2022 habe es für das Informationsblatt eine große öffentliche Nachfrage gegeben. Eine verstärkte regionale Zusammenarbeit sei von hoher Priorität.
Die geopolitischen Veränderungen stellten alle Länder und Regionen im Ostseeraum vor neue Herausforderungen, betonte auch der Direktor des Landeswasserschutzpolizeiamtes Mecklenburg-Vorpommern Lutz Müller. Angriffe auf die kritische Infrastruktur, mittelbare und unmittelbare Auswirkungen auf die maritime Wirtschaft sowie Gefahren für Umwelt und Natur seien nur einige Ausprägungen der neuen geopolitischen Realität. Obwohl der Schutz der kritischen Infrastruktur grundsätzlich Betreiberverantwortung sei, teilten auch Bund und Länder Aufgaben in diesem Bereich. Regionale Behörden könnten Handlungsbedarfe bei konkreten Gefährdungen feststellen und vor Ort agieren, sowie Lageentwicklungen beobachten. Um von den Synergien Gebrauch machen zu können, sei ein kooperativer Ansatz von unterschiedlichen Behörden notwendig. Das Landeswasserschutzpolizeiamt M-V habe eine Arbeitsgruppe KRITIS gegründet und eine Konzeption zur Überwachung der kritischen Infrastruktur ausgearbeitet. Die Zusammenarbeit mit anderen Küstenländern und mit dem Bund, sowie mit internationalen Partnern sei ebenfalls notwendig. Als Beispiele der nationalen und internationalen Kooperation nannte Herr Müller das Maritime Sicherheitszentrum (MSZ) in Cuxhaven sowie das Interreg-Projekt mit Polen und Brandenburg (SZ 2 Gemeinsamer Erhalt und Entwicklung der Biodiversität) und die Steuerungsgruppe Kooperationsverbund „Schengen Ost“ mit Dänemark. Die Unterstützung in eigener Zuständigkeit sei ein wichtiges Element der Zusammenarbeit für die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen.
Das Gesamtbild in Augen behalten: die veränderte Bedrohungslage, Kampf gegen Desinformation und die Zukunft der nuklearen Nichtverbreitung
Naben praktischen Aspekten der inneren Sicherheit adressierten die Konferenzteilnehmenden auch breitere Prozesse in der Region, in Europa und in der Welt.
So stellte Flottillenadmiral Sascha Helge Rackwitz die Entwicklungen in der strategischen maritimen Sicherheitslage in der Ostsee vor. Die Ostsee sei ein stark befahrenes, aktiv genutztes Meer und auch ein Tor zur Arktis und zum hohen Norden. Das Landwasser habe keine strategische Tiefe. Die meisten Waffensysteme könnten alles erreichen, was sich in der Ostseeregion befinde. Das mache diese zu einem anspruchsvollen Gebiet. Herr Rackwitz betonte, dass die Ostsee kein „NATO-See“, sondern ein Teil des Weltozeans sei. Was es dabei zu verteidigen gelte, sei die regelbasierte internationale Ordnung. Um die aktuelle Situation zu verstehen, müsse man sich von vielen bequemen Wahrheiten verabschieden. Die militärische Lage in der Ostsee sei von Unsicherheit geprägt. Die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren verschwimme ebenfalls. Die Streitkräfte seien dabei, ihre Strukturen an die neuen Herausforderungen anzupassen: man müsse über nachhaltigere Operationen sprechen, man brauche leicht nachrüstbare Waffen und die zivil-militärische Zusammenarbeit müsse verstärkt werden. Das Militär sei auf die Unterstützung der Gesellschaft angewiesen, um effektiv funktionieren zu können.
Der gesellschaftliche Zusammenhalt sei von zentraler Bedeutung für das Funktionieren der Demokratie und genau darauf zielten die immer intensiver werdenden Desinformationskampagnen ab, stellte Pawel Kusiak von der polnischen Marineakademie fest. Desinformationen würden der Gesellschaft und der Gemeinschaft schaden, sie schwächten das Vertrauen in Medien, führten zu Vereinfachungen und zum Verlust des Vertrauens in öffentliche Institutionen. Desinformationen seien nicht immer darauf ausgerichtet, eine bestimmte Lüge zu verbreiten. Manchmal bestehe ihr Ziel darin, Verwirrung zu stiften, indem widersprüchliche Informationen verbreitet würden. Das Hauptziel von Russlands Propaganda in der Ostseeregion bestehe darin, die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen, die Gesellschaften in der Region zu spalten, Europa zu destabilisieren und die europäische Sicherheitsordnung neuzugestalten.
Franziska Stärk vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) warf einen Blick auf das große Gesamtbild und berichtete über Entwicklung der nuklearen Komponente in der Rüstungskontrolle. Frau Stärk identifizierte vier aktuelle Trends im internationalen Nichtverbreitungsregime: die zunehmende Polarisierung zwischen nuklearen und nichtnuklearen Staaten, ein niedriges Ambitionslevel für Rüstungskontrolle, die Ersetzung der quantitativen durch die qualitative Rüstungskontrolle und die steigende Verzahnung der Rüstungskontrolle unter drei strategischen Akteuren – den USA, Russland und China. In Zukunft werde Russland mehr auf das nukleare Arsenal setzten; dabei sei die Präzisierung der nuklearen Doktrin Russlands absehbar. Die Stärkung der europäischen nuklearen Kapazitäten würde zum Entstehen von ungleichen Zonen von Sicherheit führen. Wichtig sei es, die Sicherheit der östlichen NATO-Staaten zu gewährleisten und dabei das Eskalationspotential unterhalb der nuklearen Schwelle zu halten. Die aktuelle Situation sei durch Intransparenz und Unberechenbarkeit gekennzeichnet. Langfristig brauche es Rüstungskontrollbemühungen, doch momentan bestehe auf beiden Seiten kein Interesse an der Abrüstung.
Die Empfehlungen des Jugendforums und die Konferenzresolution
Um die Beteiligung der jungen Erwachsenen am politischen Austausch zu stärken, wurden Jugenddelegierte zu einem Jugendforum im Vorfeld der Konferenz eingeladen. Auf der Jahreskonferenz stellten sie ihre Empfehlungen vor, die im Laufe der Sitzung und im Konsens der Abgeordneten in den Resolutionstext eingearbeitet wurden. Die Jugenddelegierten setzten sich für einen breiten Sicherheitsbegriff ein, der sowohl die geopolitische, als auch die humane Komponente beinhalte und schlugen weitere Aspekte vor, die sich mit der koordinierten Datenerhebung und Medienbildung im Bereich des Umganges mit künstlicher Intelligenz befassten. Darüber hinaus äußerten die Jugenddelegierten ihre Erwartung, das Jugendforum zu einem integralen Bestandteil des Parlamentsforums zu machen und die Beteiligung der Jugend im Rahmen des Forums zu stärken.
Einstimmige Verabschiedung der Resolution
Höhepunkt der zweitägigen Konferenz war die einstimmige Verabschiedung der gemeinsamen Konferenzresolution. Diese setzt sich mit unterschiedlichen Facetten der Sicherheit im südlichen Ostseeraum auseinander und beinhaltet Forderungen zur Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, im Katastrophenfall, zum Schutz kritischer Infrastrukturen, bei der Stärkung von Bildung und Medienkompetenzen und der Förderung von Energiesicherheit und -unabhängigkeit. Die Konferenzresolution wird traditionell im Plenum des Landtages abgestimmt.
Das 21. Parlamentsforum Südliche Ostsee wird im Jahr 2025 durch den Sejmik der Woiwodschaft Westpommern in Stettin ausgerichtet. Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern wird zur Vorbereitung der nächstjährigen Jahreskonferenz ein Expertentreffen und eine Redaktionssitzung im Frühjahr 2025 durchführen.