Vom 12. bis 14. Juni 2022 richtete der Schwedische Reichstag die 31. Ostseeparlamentarierkonferenz (Baltic Sea Parliamentary Conference, BSPC) in Stockholm aus. Mehr als 150 Abgeordnete, hochrangige Gäste und Fachleute trafen zusammen, um die Zukunft der Ostseeregion im Lichte des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sowie der Klima- und Demokratiekrise zu besprechen und eine gemeinsame Resolution mit Handlungsempfehlungen an die Regierungen der Ostseestaaten zu verabschieden. Darüber hinaus wurde die neue Geschäftsordnung der Ostseeparlamentarierkonferenz beschlossen. Diese legt Grundprinzipien, Mission und Ziele der BSPC sowie das Ausschlussverfahren von Mitgliedern fest. Demokratische Werte, Rechtstaatlichkeit, Menschenrechte, friedliche Nachbarschaft, Achtung des Völkerrechts und starke Zivilgesellschaft sind demnach die Grundlagen der Kooperation innerhalb der Ostseeparlamentarierkonferenz und die unabdingbare Voraussetzung für aktuelle und künftige Mitgliedschaft.
Die Delegation des Landtages bei der 31. Ostseeparlamentarierkonferenz: Sondermandate und Arbeitsgruppenvorsitz
Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern wurde auf der Konferenz durch seine Erste Vizepräsidentin Beate Schlupp (CDU) als Delegationsleiterin und die Abgeordneten Thomas Krüger (SPD), Nikolaus Kramer (AfD), Katy Hoffmeister (CDU), Christian Albrecht (DIE LINKE), Anne Shepley (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN), Sabine Enseleit (FDP) sowie Philipp da Cunha (SPD) in seiner Eigenschaft als Maritimer Berichterstatter vertreten. Im Rahmen der langjährigen Sondermandate des Landtages haben Frau Vizepräsidentin Beate Schlupp in ihrer Funktion als BSPC-Beobachterin bei der Helsinki Kommission (HELCOM) und Herr Abgeordneter Philipp da Cunha als BSPC-Berichterstatter für integrierte Meerespolitik die Konferenz über die Entwicklungen in ihren jeweiligen Berichtsfeldern angesichts der multiplen aktuellen Herausforderungen informiert.
So unterstrich Frau Schlupp, dass die russische Aggression in der Ukraine sowohl die Sicherheit in Europa gefährdet, als auch die praktische Zusammenarbeit im Bereich des Meeres- und Umweltschutzes in der Ostseeregion behindert habe. Nichtsdestotrotz solle die Umsetzung der Ziele und Maßnahmen des im Oktober 2021 beschlossenen aktualisierten HELCOM-Ostseeaktionsplans (Baltic Sea Action Plan, BSAP) voranschreiten. In der Kontrolle von dessen Implementierung würde den Ostseeparlamentarierinnen und -parlamentariern eine besondere Rolle zukommen. Herr da Cunha ging in seinem Vortrag auf die aktuellen Herausforderungen für die Kreuzschifffahrt, Lieferketten und Häfen sowie die Initiativen der EU im Bereich der Unterstützung des grünen und digitalen Wandels ein. Besonderer Fokus lag dabei auch auf der Notwendigkeit der Diversifizierung von Energiequellen und der Verringerung der Abhängigkeit von russischem Gas. Ziel solle die Entkopplung des wirtschaftlichen Wachstums von der Ressourcennutzung sein.
Darüber hinaus wurde Herr Philipp da Cunha durch den Ständigen Ausschuss der Konferenz zum Vorsitzenden ihrer Arbeitsgruppe für Klimawandel und Biodiversität gewählt. Die Arbeitsgruppe wurde im August 2020 eingerichtet und wird im August 2023 ihren Abschlussbericht vorstellen. Herr da Cunha wird die Arbeitsgruppe in dieser Abschlussphase leiten.
Solidarität und Zusammenhalt als Antwort auf den Krieg in der Ukraine
Die schärfste Verurteilung des durch Russland geführten Angriffskrieges sowie die Solidarität mit der Ukraine und mit Staaten und Regionen, die durch den Krieg besonders betroffen sind, waren wiederkehrende Themen auf der Konferenz. Die Achtung des Völkerrechts sei das Fundament jeglicher regionaleren Zusammenarbeit, und Russland habe sich durch sein Vorgehen von der internationalen Kooperation disqualifiziert, so die schwedische Außenministerin, Frau Ann Linde. Der ehemalige Vize-Generalsekretär der Vereinten Nationen und ehemalige schwedische Außenminister, Herr Jan Eliasson, betonte, dass die Stärkung des Multilateralismus und entschlossenes gemeinsames Handeln demokratischer Staaten zur Verteidigung geteilter Werte und Normen jetzt mehr denn je benötigt würden. Auch wenn sich die Konferenzteilnehmenden darin einig waren, dass sich der Krieg über Monate und gar Jahre hinziehen werde, wurde wiederholt vor der Mitgefühlsmüdigkeit gewarnt und zu mehr Resistenz und Resilienz aufgerufen. Mit seinem Bonmot aus der UN-Charta „We the peoples…“ hat er großen Beifall des Publikums erlangt.
Auch die norwegische Außenministerin und die scheidende Vorsitzende des Ostseerates (Council of the Baltic Sea States, CBSS), Frau Anniken Huitfeldt, betonte, dass die praktische Zusammenarbeit zur Lösung gemeinsamer Probleme fortgesetzt werden solle und wünschte dem kommenden deutschen Vorsitz viel Erfolg in der bevorstehenden Arbeit. Als kommende Ostseeratsvorsitzende stellte Frau Außenministerin Annalena Baerbock im Anschluss die Schwerpunkte der deutschen Präsidentschaft vor, zu denen Windenergie, Jugendbeteiligung und versenkte Munition zählen würden. Das Problem der Altmunition wurde in mehreren Resolutionen der Ostseeparlamentarierkonferenz adressiert; der Abschlussbericht des BSPC-Berichterstatters für Munitionsaltlasten wurde auf der 30. Ostseeparlamentarierkonferenz vorgestellt, während einschlägige Forderung in der 30. Resolution Ausdruck gefunden haben. Auch der Deutsche Bundestag werde während seiner BSPC-Präsidentschaft 2022–2023 dieses Anliegen auf die Agenda der BSPC setzten wollen. So könnten positive Synergien zwischen der Ostseeparlamentarierkonferenz, dem Ostseerat und HELCOM zur gemeinsamen Auseinandersetzung mit Munition im Meer entstehen.
Der Krieg hat viele europäische Länder – insbesondere die Baltischen Staaten und Polen – vor massive Herausforderungen im Zusammenhang mit der Unterstützung von Geflüchteten gestellt. Die EU-Kommissarin für Inneres, Frau Ylva Johansson, wies auf die unmittelbare entschlossene und einzigartige Reaktion der Europäischen Union hin, die zum ersten Mal in der Geschichte die Richtlinie über den vorübergehenden Schutz aktiviert habe. Sie merkte an, dass Russland einen Zermürbungskrieg führe und unterstrich die Notwendigkeit weiterer Unterstützung von sozialen Maßnahmen im Bereich der Bildung und Arbeit. Gleichzeitig wies sie auf die bevorstehende EU-Initiative zum Wiederaufbau der Ukraine hin.
Medienfreiheit als Grundlage für Demokratie in der Ostseeregion
Die Stärkung der Demokratie wurde angesichts der weltweiten schleichenden Autokratisierung sowie anlässlich des 100. Jubiläums des allgemeinen Wahlrechts in Schweden vom schwedischen BSPC-Vorsitz als einer der Präsidentschaftsschwerpunkte gesetzt. Medienfreiheit spielt dabei eine zentrale Rolle. Doch Medien und neue Informationstechnologien können sowohl zur Stärkung der Demokratie beitragen, als auch zu derer Unterminierung benutzt werden. Das Spannungsfeld zwischen Presse- und Meinungsfreiheit und der Bekämpfung von Propaganda und Desinformation wurde zum Gegenstand intensiver Debatten. Der internationale Redakteur der dänischen Tageszeitung Politiken, Herr Michael Jarlner, betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, der Desinformation entgegenzuwirken. Das könne beispielsweise durch die Unterstützung des russischen und belarussischen kritischen Journalismus – auch im Exil – geleistet werden. Übersetzungen ins Russische und Verbreitung von Informationen für russischsprachige Menschen im Internet könne eine weitere Option sein. Auch Frau Valentina Shapovalova von der Universität Kopenhagen betonte, dass es notwendig und wichtig sei, die Versuche fortzusetzen, Menschen in Russland zu erreichen. Die Möglichkeiten schwänden jedoch schnell, da russische staatliche Propaganda und Zensur immer stärker und komplexer würden. Frau Sia Spiliopoulou Åkermark vom Åland Islands Peace Institute warnte vor der Ausgrenzung, Marginalisierung und Stereotypisierung von russischsprachigen Minderheiten in westlichen Staaten. Zum Schluss riet Herr Jarlner davon ab, „das Gleiche zu tun, was Russland tue“, und rief dazu auf, der Propaganda mit Gegennarrativen statt Verboten zu entgegnen.
Klimawandel und Schutz der Artenvielfalt: praktische Ansätze und internationale Kooperation
Die Klimakrise stellt alle Ostseestaaten und -regionen vor gemeinsame Herausforderungen, die gemeinsamen Handelns bedürfen. Die Eindämmung des Klimawandels und Schutz der Biodiversität wurden sowohl während des im Vorfeld der Jahreskonferenz stattgefundenen Jugendforums (Baltic Sea Parliamentary Youth Forum), als auch im Rahmen des dritten Konferenzabschnitts besprochen. Besonderer Fokus lag dabei auf internationalen Verpflichtungen und praktischen Ansätzen im Bereich des Umweltschutzes. Zu Beginn der Sitzung stellte Herr Anders Grönvall, Staatssekretär im schwedischen Klima- und Umweltministerium, die Ergebnisse der Stockholm+50-Konferenz vor. Fünfzig Jahre nach der Stockholm-Konferenz von 1972, die zum ersten Mal Umwelthemen auf die internationale Agenda gesetzt hatte, riefen die Konferenzteilnehmenden zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern, zur beschleunigten Umsetzung von Klimazielen und zum Ausbau naturorientierter Wirtschaften auf. Herr Grönvall merkte an, dass die Ostseeregion über viel Potential verfüge, beispielsweise im Bereich der Nutzung von Windenergie. Gleichzeitig sei die Ostsee von den Effekten des Klimawandels besonders schwer betroffen. Diesbezüglich wies die aktuelle HELCOM-Vorsitzende, Frau Dr. Lilian Busse, auf das durch HELCOM gemeinsam mit Baltic Earth vorbereitete Datenblatt zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Ostseeregion (Baltic Sea Climate Change Factsheet) hin. Klimawandel sei auch ein übergreifendes Thema des aktualisierten Ostseeaktionsplans, der strategische Ziele zum Schutz der Meeresumwelt im Ostseeraum bis 2030 setzt. Die eingeladenen Teilnehmenden des Parlamentsjugendforums riefen in diesem Zusammenhang die Politik dazu auf, die existierenden internationalen Verpflichtungen einzuhalten und bereits beschlossene Maßnahmen umzusetzen.
Fazit der Delegationsleitung
Höhepunkt der Veranstaltung war traditionell die einstimmige Verabschiedung der Konferenzresolution. Frau Vizepräsidentin Beate Schlupp kommentiert: „Die Suspendierung und der darauffolgende Austritt russischer Parlamente hat eine andere Dynamik in die Ostseeparlamentarierkonferenz gebracht und neue Diskussionsfelder eröffnet. Nach zweieinhalb Tagen intensiver, informativer und bereichernder Gespräche beschlossen wir im Konsens die aktualisierte Geschäftsordnung. Hier werden unsere gemeinsame Werte und Prinzipien klar und deutlich benannt. Außerdem haben wir eine Resolution mit umfangreichen und weitreichenden Forderungen an die Regierungen im Ostseeraum beschlossen, die wieder Gegenstand einer interfraktionellen Entschließung sein wird. Mir liegt besonders am Herzen, dass sich die Konferenz dem Thema der Bergung der in der Ostsee verklappten Munition zuwendet. Die Themen der Resolution reichen von der Stärkung unserer regionalen Kooperation, über Bekämpfung von Desinformation und Unterstützung der Zivilgesellschaften, bis hin zu Klimaschutz und Hilfe für ukrainische Geflüchtete. Angesichts der aktuellen Krisen müssen wir entschlossen und gemeinsam handeln. Die Konferenz hat gezeigt, dass die Zusammenarbeit in der Ostseeregion auf Basis geteilter Werte und gemeinsamer Interessen an Sicherheit, Wohlergehen sowie nachhaltiger Entwicklung unserer Gesellschaften unsere Stärke ist.“
Ausblick
Die 32. Ostseeparlamentarierkonferenz wird vom Deutschen Bundestag am 27.–29. August 2023 in Berlin ausgerichtet. Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern wird gemeinsam mit der BSPC am 29.–30. August die sechste Sitzung der BSPC-Arbeitsgruppe für Klimawandel und Biodiversität in Schwerin organisieren.