Verteidigung, Energiesicherheit und Klimawandel im Fokus der 33. Ostseeparlamentarierkonferenz in Dänemark
Am 25.–27. August 2024 nahm die Landtagsdelegation an der 33. Ostseeparlamentarierkonferenz (Baltic Sea Parliamentary Conference, BSPC) in Helsingør, Dänemark teil. Unter der Leitung der Ersten Vizepräsidentin Beate Schlupp vertraten die Abgeordneten Jens-Holger Schneider, Katy Hoffmeister, Constanze Oehlrich und Sabine Enseleit den Landtag Mecklenburg-Vorpommern auf der BSPC-Jahreskonferenz. Hier hatten sich rund 160 Mitglieder nationaler und regionaler Parlamente sowie Staats- und Landesregierungen, Sachverständige und Vertreterinnen und Vertreter der Jugend aus dem gesamten Ostseeraum versammelt. Der Landtag trägt seit Jahren eine Reihe von Sondermandaten für die Ostseeparlamentarierkonferenz (diese werden in einer gesonderten Mitteilung ausgeführt).
Im Mittelpunkt der Konferenz stand die Verabschiedung einer gemeinsamen Resolution mit Forderungen und Empfehlungen an die nationalen und regionalen Regierungen und internationale Organisationen in der Ostseeregion. Die Resolution speigelte einen Konsens der Ostseeabgeordneten in Schlüsselbereichen der gemeinsamen Verteidigung und maritimen Sicherheit, der Energieversorgungssicherheit und der Eindämmung des Klimawandels wider. In den zwei Tagen vor der Verabschiedung der Entschließung wurden diese Themen intensiv behandelt und in aufschlussreichen Gesprächen vertieft.
Am ersten Konferenztag wurden die Delegierten vom König Frederik X von Dänemark im historischen Schloss Kronborg empfangen. König Frederik X hob die Bedeutung der Ostseekooperation für Dänemark und für die gesamte Region hervor und betonte die Notwendigkeit von gemeinsamen und kollektiven Handlungen und Maßnahmen, um die vielfältigen Krisen unserer Zeit zu bewältigen. In diesem Zusammenhang würdigte er die Arbeit der Ostseeparlamentarierkonferenz, die seit mehr als drei Dekaden als wichtiges Forum für regionale parlamentarische Kommunikation und Annäherung von politischen Positionen im Ostseeraum diene.
Verteidigungspolitische Zusammenarbeit
Angesichts steigender hybrider Bedrohungen bedürfe es einer besseren Koordinierung in Verteidigungsfragen zwischen den Ostseestaaten, in der EU und NATO, darin waren sich die Konferenzteilnehmenden einig. So rief Herr Pekka Haavisto, ehemaliger finnischer Außenminister, zur Harmonisierung und Standardisierung in Verteidigungsangelegenheiten auf. Gleichwohl müssten die Entscheidungsträgerinnen und -träger die gesellschaftliche Bereitschaft beachten, erhöhte Militärausgaben zu akzeptieren. Eine offene und sachliche Debatte über die notwendigen Kürzungen in anderen Bereichen sei unumgänglich.
Europa müsse sich auf einen dauerhaften Krieg und die damit verbundenen Kosten einstellen, betonte auch der polnische Abgeordnete Herr Jarosław Wałęsa. Hinzu käme die Intensivierung von Sabotageakten, hybriden Bedrohungen und die Instrumentalisierung von Migrationsbewegungen seitens Russlands, die darauf abziele, die gesamte Region zu destabilisieren. Die NATO sei ein wertebasiertes Militärbündnis und solle gemeinsame Lösungen auf Basis ebendieser Werte der Demokratie und der Achtung des Völkerrechts finden. Die Souveränität der Ukraine sei eine Voraussetzung für Frieden, denn die Ukraine kämpfe für ganz Europa, unterstrich Herr Wałęsa.
Auch Herr Flemming Splidsboel vom Dänischen Institut für Internationale Studien (Danish Institute for International Studies, DIIS) befürchtete einen lang andauernden Abnutzungskrieg. Er sei zu einem raison d’être für Russland geworden, das die Schwächen des Westens sowohl im physischen, als auch kognitiven Bereich sowie im Cyberspace ausnutze. Die EU habe mehrere effektive Standards gegen nicht im engeren Sinne militärische Bedrohungen und Angriffe aufgestellt, während die NATO über wirksame Mechanismen zur Abwehr von Angriffen im militärischen Bereich verfüge. Es brauche jedoch mehr Koordinierung und Zusammenarbeit.
Versorgungssicherheit und Zivilschutz
Die Gewährleistung der regionalen Sicherheit schließe auch die Versorgungssicherheit mit ein. Herr Carl-Oskar Bohlin, schwedischer Minister für Zivilschutz, sprach in diesem Zusammenhang vom schwedischen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine habe Schweden drei Lehren gezogen: Abhängigkeiten von Staaten, die demokratische Werte nicht teilen, sollten vermieden werden; die Sicherheit kritischer Infrastruktur müsse gewährleistet werden; frühzeitige Bevorratung und Redundanzen in Energiesystemen könnten im Krisenfall von entscheidender Bedeutung sein.
Herr Rasmus Dahlberg von der Königlichen Dänischen Verteidigungsakademie (Royal Danish Defense College) stellte fest, dass Krisen offenbar zum Normalzustand geworden seien. Daher sollte die Denkweise in Bezug auf Krisen an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Bei der Entstehung von NATO sei ein starker Fokus auf die Stärkung der eigenen und der gemeinsamen Widerstandskraft (Artikel 3 des NATO-Vertrages) gelegt worden. Gegenwärtig gewinne dieser Aspekt wieder an Bedeutung. Die sektorale Verantwortung solle überarbeitet werden, um Verantwortungsdiffusion zu verhindern. Dafür brauche es neue gesellschaftliche und supranationale Strukturen.
Auf die Nachfrage seitens des Landtagsabgeordneten Herrn Jens-Holger Schneider, über die Nutzung von EU-Häfen durch russische LNG-Schiffe unterstrich Herr Bohlin, dass die kritische Abhängigkeit von Russland verringert werden solle, nicht nur im Energiesektor, sondern auch im Bereich der Düngemittel. Ähnlich merkte Herr Rasmus Dahlberg an, dass es immer Akteure gebe, die versuchten, Schlupflöcher zu nutzen. Doch es sei nicht zielführend, eine Abhängigkeit durch eine andere zu ersetzen.
In der aktuellen unsicheren und krisenhaften Zeit sei die Einbeziehung und das Engagement der gesamten Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Klare und offene politische Kommunikation und verlässliche Institutionen und Foren für den Umgang mit Desinformation seien zentral für die Förderung gesellschaftlicher Akzeptanz und Verantwortung, so Herr Bohlin.
Maritime Sicherheit in der Ostsee
Der stellvertretende dänische Ministerpräsident und Verteidigungsminister, Herr Troels Lund Poulsen, erinnerte daran, dass Dänemark eine besondere Verantwortung für die maritime Sicherheit in der Ostseeregion trage. Dänemark habe erhebliche Investitionen, beispielsweise in eine mobile Brigade und U-Boot-Fähigkeiten beschlossen und seine Unterstützung für die Ukraine erweitert. In den kommenden Jahren brauche es einen langfristigen Plan und eine offene und direkte Diskussion mit Wählerinnen und Wählern darüber, was zusätzliche russische Landgewinne in der Ukraine für die gesamte Region bedeuten würden. Zudem sollten künftige Investitionen effektiv und effizient betätigt werden.
Darauf aufbauend bekräftigte der dänische Außenminister, Herr Lars Løkke Rasmussen, dass wirksame Verteidigung starke Bündnisse erfordere. Hybride Bedrohungen zielten darauf ab, die Autorität und das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben und damit die Gesellschaften zu destabilisieren. In diesem Zusammenhang erwähnte Herr Rasmussen die Gefahren und Risiken, die von der „Schattenflotte“ Russlands ausgehen würden, und betonte die Notwendigkeit von umsetzbaren und rechtssicheren gemeinsamen Maßnahmen. Der beste Weg, einen Krieg in Zukunft zu verhindern, sei Abschreckung und Einigkeit.
Klimawandel und Klimainitiativen
Mit Blick auf die wachsenden Herausforderungen des Klimawandels hatte die 29. Ostseeparlamentarierkonferenz im Jahr 2020 eine Arbeitsgruppe für Klimawandel und Biodiversität eingesetzt. Unter der Leitung des Landtagsabgeordneten Herrn Philipp da Cunha, hat die Arbeitsgruppe der letztjährigen BSPC-Jahreskonferenz eine umfangreiche Liste von Forderungen und Empfehlungen zur Eindämmung des Klimawandels und zum Schutz der Artenvielfakt vorgelegt. Daher adressierte auch die diesjährige 33. Ostseeparlamentarierkonferenz einschlägige internationale Initiativen zur Umsetzung von Klimamaßnahmen.
So stellte Frau Eva Jensen von der Europäischen Umweltagentur die Ergebnisse der Europäischen Klimarisikoanalyse (European Climate Risk Assessment, EUCRA) vor. Laut dem EUCRA-Bericht erwärme sich Europa doppelt so schnell wie der Rest der Welt und sei auf die Folgen des Klimawandels nicht vorbereitet. Im Jahr 2022 beliefen die mit der Zunahme von Extremwetterereignissen verbundenen Kosten in Europa auf 52 Billionen Euro. Das Europäische Klimagesetz und das „Fit for 55“-Paket der EU würden Ziele zur Erreichung von Klimaneutralität bis 2050 sowie die dafür erforderlichen Maßnahmen definieren. Die Mitgliedsstaaten seien für die Implementierung zuständig und müssten in den kommenden sechs Jahren entscheidende Schritte unternehmen. Dabei seien Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls wichtige Themen, die jedoch direkt mit Initiativen zur Gewährleistung von Klimaneutralität verbunden seien.
Um den Prozess wissenschaftlich zu begleiten und zu unterstützen, sei der unabhängige Klimabeirat der EU (European Scientific Advisory Board on Climate Change, ESABCC) etabliert worden. Frau Prof. Jette Bredahl Jacobsen, Vize-Vorsitzende des Klimabeirats, präsentierte die zentralen Ergebnisse ihrer Arbeit, die unter dem Gesichtspunkt der Evaluierung von Umsetzbarkeit und Fairness von entsprechenden Klimamaßnahmen ausgeführt worden sei. Der Beirat sei zum Schluss gekommen, dass die EU-Klimaziele bis zu 95 Prozent bis 2040 erreicht werden könnten – dafür sei ein hohes Maß an Ambitionen in den Mitgliedsstaaten die Mindestanforderung. Das bisherige Tempo der Kohlenstoffreduzierung solle bis zum Jahr 2030 verdoppelt und ab 2040 weiter beschleunigt werden.
Die Ostsee stelle bereits jetzt ein kollabiertes Ökosystem dar und benötige dringende Maßnahmen für die Wiederherstellung seiner Funktionen, so Herr Prof. Stiig Markager von der Universität Aarhus. Grund dafür sei die Eutrophierung, die durch den übermäßigen Eintrag von Nährstoffen verursacht werde. Erst bei einer fünfzigprozentigen Stickstoffeintragsreduzierung könnte sich das Ökosystem der Ostsee in einhundert Jahren wiederherstellen. Daher sprach Herr Prof. Markager vier Empfehlungen zur Erreichung eines gesunden Zustandes der Ostsee aus: erstens sollten die Stickstoffeinträge um mindestens fünfzig Prozent reduziert werden, zweitens bräuchte es die Installation besserer Abwasserbehandlungsanlagen, drittens sollte der Einsatz fossiler Brennstoffe beendet werden, während viertens die größten Umweltbelastungen auf das Ostsee-Ökosystem verringert werden sollten.
Empfehlungen des Jugendforums
Auch in diesem Jahr fand im Vorfeld der Jahreskonferenz das Ostseejugendforum (Baltic Sea Parliamentary Youth Forum, BSPYF) statt, das fünfundzwanzig Jugendliche und junge Erwachsene aus BSPC-Mitgliedsstaaten und -regionen versammelte. Durchgeführt in Kooperation mit dem Ostseerat (Council of the Baltic Sea States, CBSS) und der dänischen Delegation für die BSPC zielte das Jugendforum darauf ab, Empfehlungen für die Resolution der kommenden BSPC vorzubereiten. Frau Nagham Wajdi Jaghoub aus Norwegen sowie Frau Justina Jemeljanovaitė und Frau Sarah Vestergaard aus Dänemark stellten insgesamt sechs Vorschläge des Jugendforums in drei Bereichen vor: zur Stärkung der gemeinsamen Energiesicherheit, zur Förderung von Energienachhaltigkeit und zur Verbesserung der Jugendbeteiligung an der Energiepolitik. Die Mitglieder des Jugendforums haben sich auch während der Jahreskonferenz aktiv in die Debatten mit Politikerinnen und Politikern sowie Sachverständigen eingebracht und ihr Input zu den Sitzungsschwerpinkten gegeben.
Die Resolution der 33. Ostseeparlamentarierkonferenz und Ausblick
Die 33. Jahreskonferenz der BSPC mündete in die einstimmige Annahme einer gemeinsamen Resolution. Die Konferenzentschließung beinhaltet achtundvierzig Vorschläge und Forderungen an die Ostseeregierungen zur Stärkung der Zusammenarbeit im Ostseeraum, zur Verbesserung der Sicherheit und Unabhängigkeit von Energieversorgung, zur Aufwertung der gemeinsamen Verteidigung und zur Eindämmung des Klimawandels. Traditionsgemäß wird angestrebt, über die Beschlüsse der BSPC-Jahreskonferenz auf Grundlage eines interfraktionellen Antrags im Plenum des Landtages abzustimmen.
Die 34. Ostseeparlamentarierkonferenz wird durch das Parlament von Åland vom 24. bis 26. August 2025 in Mariehamn ausgerichtet.