Zusammenhalt in Europa: Tilo Gundlack, MdL bei der 151. Plenartagung des Europäischen Ausschusses der Regionen in Brüssel
Vom 10.-12. Oktober 2022 hat der Landtagsabgeordnete Tilo Gundlack Mecklenburg-Vorpommern auf der 151. Plenartagung des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR) vertreten. Die AdR-Mitglieder kamen im Gebäude der EU-Kommission zusammen, um insgesamt fünfzehn Stellungnahmen und eine Entschließung anzunehmen.
Parallel fand außerdem die 20. Europäische Woche der Regionen und Städte statt. Diese Veranstaltung mit etwa 500 Teilnehmer:innen aus den europäischen lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die sich mit der Auflösung der Disparitäten in Europa auseinandersetzte, wurde gemeinsam vom AdR und der EU-Kommission organisiert unter dem Motto „Neue Herausforderungen für den Zusammenhalt in Europa“.
Des Weiteren wurde während des 151. AdR-Plenums eine Erklärung zur Erneuerung der Kohäsionsallianz unterzeichnet.
Während der Plenartagung wurden unter anderem Debatten über die Lage in der Ukraine und in den Regionen und Städten der EU sowie über die 27. UN-Klima-Konferenz geführt, in die auch acht AdR-Mitglieder eingebunden sind. An den Aussprachen beteiligt waren unter anderem die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, sowie die EU-Kommissare Elisa Ferreira und Dubravka Šuica.
„Ein trauriger Tag für Europa“
Angesichts der verstärkten russischen Angriffe auf ukrainische Gebiete am 10. Oktober 2022 verurteilte die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, in ihrer Rede erneut das brutale Vorgehen der russischen Regierung in der Ukraine: Die EU und das Europäische Parlament stellten sich gegen das „kriminelle russische Regime“, das wahllos Terror und Tod verbreite.
Der AdR kritisierte in seiner Stellungnahme die in den von Russland besetzten Gebieten durchgeführten Scheinreferenden und bekräftigte die Notwendigkeit geschlossener Unterstützung für die Ukraine und konsequenter Sanktionen.
Die Empfehlungen der AdR-Stellungnahme zur Unterstützung der Ukraine beziehen sich auf verschiedene Phasen: Die erste Phase solle Sofortmaßnahmen umfassen, die zweite der Wiederherstellung kritischer Infrastrukturen und Dienste gewidmet sein, und die dritte solle den Weg für ein langfristig nachhaltiges Wachstum ebnen. Der AdR regt dazu eine Wiederaufbaufazilität für die Ukraine an und weist auf seine Allianz der Regionen und Städte für den Wiederaufbau der Ukraine hin.
Ferner fordert der AdR die EU und andere internationale Geber auf, in der ersten Phase finanzielle Soforthilfe bereitzustellen, um der ukrainischen Bevölkerung zu helfen, sicher durch den nächsten Winter zu kommen. In den Regionen an der Front sollten diese Mittel für humanitäre Hilfe (u.a. Nahrung, Brennstoff, Arzneimittel, Systeme zur Bereitstellung und Aufbereitung von Trinkwasser), die Organisation zeitweiliger Unterkünfte wie Zelte, Wohncontainer, Heizungsanlagen und ähnliches, die Minenräumung und logistische Unterstützung für die Aufrechterhaltung der Anbindung dieser Regionen bestimmt sein ebenso wie für die Bereitstellung der erforderlichen Transportmittel (Busse, Kranken- und Feuerwehrwagen, Lastkraftwagen, Baugerät u.ä.). In relativ sicheren und von den Kämpfen einigermaßen entfernten Gebieten sollte technische Unterstützung für die Erbringung von Dienstleistungen, die Unterbringung und Integration von Binnenvertriebenen, die Verlagerung industrieller Kapazitäten und die Sicherung von Verkehrskorridoren für in das Land kommende humanitäre Hilfe und für Ausfuhren aus der Ukraine bereitgestellt werden.
Die längerfristigen Unterstützungsmaßnahmen sollten in erster Linie darauf ausgerichtet sein, das von der ukrainischen Regierung gesetzte Ziel zu erreichen, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65% zu senken und die soziale Infrastruktur wie Wohnungen, Schulen und Krankenhäuser wiederaufzubauen. Auf diese Weise soll es den ukrainischen Flüchtlingen und Vertriebenen, deren Schutzstatus in der EU inzwischen bis März 2024 verlängert wurde, erleichtert werden, wieder an ihren ursprünglichen Wohnort zurückzukehren. Mit Stand September 2022 sind 30% der Solarkapazität und 90% der Windenergieanlagen der Ukraine im Krieg zerstört worden oder befinden sich auf von Russland besetztem Gebiet.
Vor dem Hintergrund der ukrainischen Beitrittsperspektive empfiehlt der AdR der EU-Kommission außerdem, eine Aufbaufazilität für die Ukraine einzurichten.
Für die Achtung der Menschenrechte bei der Überarbeitung des Schengener Grenzkodexes
Eine weitere vom AdR angenommene Stellungnahme bezieht sich auf die Verordnungsvorschläge COM(2021) 891 final (Änderung der EU-Verordnung 2016/399 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen), COM(2021) 890 final (Bewältigung von Situationen der Instrumentalisierung im Bereich Migration und Asyl) und die entsprechende Mitteilung JOIN(2021) 32 final „Reaktion auf staatlich geförderte Instrumentalisierung von Migranten an der EU-Außengrenze“.
Laut der AdR-Stellungnahme sollten die Vorschriften für den Schutz der Außengrenzen nicht verschärft, sondern wirksam umgesetzt werden.
Zeitweise Kontrollen an den Binnengrenzen der EU sollten in Krisenzeiten nur als letztes Mittel und nur im Konsens mit der EU wiedereingeführt werden. Dabei müssten die Beeinträchtigungen für die Grenzregionen möglichst gering, mit den betroffenen Gemeinden und Regionen abgestimmt und zeitlich begrenzt sein. Schutzklauseln sollten verhindern, dass das Recht auf Asyl unterlaufen wird.
Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Änderungen des Schengener Grenzkodexes betreffen den sogenannten „Schengen-Raum“, der die Freizügigkeit innerhalb von 22 EU- und Nicht-EU-Ländern ermöglicht, und gehen auf die Erfahrungen, unter anderem der Grenzregionen, mit unkoordinierten Schließungen nationaler Grenzen während der COVID-19-Pandemie und auf die Zunahme der Fluchtbewegungen durch den Ukraine-Krieg zurück.
Die Vorschläge der EU-Kommission sind auch eine direkte Antwort auf das Problem, dass Nachbarländer der EU ihre Grenzen nicht mehr kontrolliert haben, um umfangreiche unerlaubte Migrationsbewegungen von Drittstaatsangehörigen in die EU auszulösen und Druck auf die EU-Außengrenzen auszuüben. Diese Problemlage – in den Vorschlägen der EU-Kommission als „Instrumentalisierung“ von Migration bezeichnet, für die der AdR eine genauere Definition fordert und auch eine offizielle Anerkennung im Einzelfall durch den Europäischen Rat – rückte 2021 ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, als Belarus damit begann, Flüge und interne Reisemöglichkeiten zu organisieren, um den Transit von Migranten in die EU zu erleichtern. Die AdR-Stellungnahme bezweifelt, dass die vorgeschlagene Instrumentalisierungsverordnung in der jetzigen Form dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht: Aus seiner Sicht bergen die Ausnahmen vom EU-Asylrecht die Gefahr, über das erforderliche Maß hinauszugehen, um das Ziel, Drittstaaten an der Instrumentalisierung von Migranten zu hindern, zu erreichen.
Solidarische Kohäsionspolitik in der EU: Forderung nach einem neuen strategischen Rahmen für die europäischen Struktur- und Investitionsfonds nach 2027
In ihrer Mitteilung COM(2022) 34 zum achten Kohäsionsbericht schildert die EU-Kommission die wichtigsten Veränderungen hinsichtlich der EU-weiten regionalen Ungleichheiten in den letzten zehn Jahren. So verzeichnet sie durch die COVID-19-Pandemie einen Anstieg der europäischen Sterblichkeitsrate um 13% und die größte Rezession seit 1945, die auch mit einer Zunahme der Armut und sozialen Ausgrenzung einhergeht.
Seit 2001 hatte sich das Gefälle des BIPs pro Kopf erheblich reduziert; doch inzwischen hat sich das Wachstum in mehreren Regionen abgeschwächt.
Die Beschäftigung bleibt in den weniger entwickelten EU-Regionen weit hinter denen der stärker entwickelten zurück. Hier ist auch der Rückstand bei der Gleichstellung von Frauen größer. Unterschiede bei den Qualifikationen und der Innovationsfähigkeit sind zwischen den Regionen groß, während auch Umweltprobleme wie die Belastung durch Feinstaub, durch die Konzentration von Ozon und durch eine mangelnde Wasserqualität weiterhin in der EU in unterschiedlichem Maß festgestellt werden und sich in einigen EU-Mitgliedstaaten die Rechtsstaatlichkeit verschlechtert hat.
Zu den Befunden gehört auch, dass auf dem Land der Zugang zu Hochgeschwindigkeitsinternet um ein Vierfaches geringer ist als in der Stadt.
Ein neues Konzept des Kohäsionsberichts („Dem Zusammenhalt nicht schaden“) sollte aus Sicht der AdR-Stellungnahme nicht nur für operationelle Programme, sondern auch für Partnerschaftsvereinbarungen gelten und von einer neuen, langfristigen europäischen Strategie für 2030 flankiert werden. Die EU-Kommission wird aufgefordert, auch im Rahmen eines Rechtsakts, Leitlinien zu dem Konzept zu entwickeln. Die Prüfung der Auswirkungen von Maßnahmen auf den ländlichen Raum könne darin einbezogen werden.
Neben einer besseren Abstimmung der Kohäsionspolitik mit der EU-Forschungsfinanzierung fordert der AdR auch, dass jede EU-Maßnahme dem Zusammenhalt dienen müsse. Ferner sollten Regionen mit mittlerem Einkommen, deren Wachstum sich abschwächt, laut der Stellungnahme des AdR im Bereich Innovation besondere Unterstützung erfahren.
Die Stellungnahme bringt außerdem Besorgnis der Regional- und Kommunalvertreter der EU angesichts der derzeitigen Tendenz zum Ausdruck, dass immer mehr Mittel aus den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds auf andere Maßnahmen oder Programme wie die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne oder auf direkt verwaltete Programme wie Horizont Europa übertragen werden. Sie sprechen sich deshalb entschieden gegen Mittelübertragungen aus der Kohäsionspolitik und des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) auf die Aufbau- und Resilienzfazilität aus. Darüber hinaus warnten die lokalen und regionalen Entscheidungsträger vor der Gefahr von Überschneidungen oder Verdrängungseffekten, wenn es keinen echten Mechanismus zur Koordinierung und Verknüpfung der Wiederaufbau- und Resilienzfazilität mit der Kohäsionspolitik gibt. In der Debatte wurde deutlich gemacht, dass die Kohäsionsmittel wieder ihrer originären Aufgabe dienen können müssen, anstatt langfristig für das Notfallmanagement eingesetzt zu werden.
Ein Beispiel für die Nutzung von React-EU- und nationalen operationellen Programmitteln gab die Stadt Mailand, die neben anderen italienischen Städten für drei Millionen Euro Duschen im öffentlichen Raum für obdachlose Menschen bereitstellte.
EU-Kommissarin Dubravka Šuica sagte in ihrer Ansprache an die AdR-Mitglieder bezogen auf die Zukunft der EU, Menschen in der EU fühlten sich manchmal zurückgelassen. So gab auch der AdR in seiner Entschließung bezüglich der Lage in den Gemeinden und Regionen zu bedenken, dass sich die Inflation ungleich auf die Gebiete auswirke und die Gefahr bestehe, dass sich bereits vorhandene territoriale, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten weiter verschärfen. Die höheren Energie- und Mobilitätskosten träfen sozial schwache Bevölkerungsgruppen deutlich härter. Die Menschen in einkommensschwächeren Regionen bekämen höhere Preise für grundlegende Güter und Waren unverhältnismäßig stark zu spüren und drohten, in Armut zu geraten. Die Entschließung fordert die EU-Kommission auf umgehend eine EU-weite Preisobergrenze für alle Gasimporte in die EU vorzuschlagen und die Entkopplung zwischen Gas- und Energiepreisen zu unterstützen. Auch solle sie Maßnahmen gegen Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit vorlegen, die sich durch die Krise verstärkt haben.
In der Debatte wies EU-Kommissarin Šuica auf das verbesserte mehrsprachige „Ihre Meinung zählt“-Portal (engl.: “Have your say“ portal) der EU-Kommission hin, auf dem die Bürger, anknüpfend an die EU-Zukunftskonferenz, politische Forderungen an die EU-Ebene richten können.
Reform der Industrieemissionsrichtlinie
Die Mitglieder des AdR setzten sich in einer weiteren Stellungnahme zur überarbeiteten Industrieemissionsrichtlinie dafür ein, dass diese in den Mitgliedstaaten einheitlich umgesetzt wird. Sie unterstützten ferner die Einrichtung des Industrieemissionsportals, forderten jedoch, Anstrengungen zu unternehmen, um den zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zu begrenzen. Daneben stimmten sie dafür, dass die Behörden die strengstmöglichen Emissionsgrenzwerte festlegen können [Änderung von Art. 15 (3)], dies jedoch nicht müssen.
Dem gegenüber befürworteten sie die Ausdehnung des Geltungsbereichs der Industrieemissionsrichtlinie auf andere Bereiche wie die Aquakultur und die Rinderhaltung, äußerten Besorgnis bezüglich des Verwaltungsaufwandes und schlugen vor, in Bezug auf die Rinderhaltung Maßnahmen zu prüfen, mit denen die Unternehmen und die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei diesem Übergang finanziell unterstützt werden können. Dabei sollte aus Sicht des AdR insbesondere den sozialen Auswirkungen auf kleinen Anlagen Rechnung getragen und auch andere Kriterien als der Kapazitätsschwellenwert beachtet werden.
Daneben verabschiedete der AdR Stellungnahmen zum Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fund), zum Schutz geografischer Angaben für gewerbliche und handwerkliche Erzeugnisse, zu Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V), zum neuen Rahmen für urbane Mobilität, zum schulischen Erfolg, zur makroregionalen Strategie für den Mittelmeerraum und zum EU-Chipgesetz. In letzterer brachten die Mitglieder zum Ausdruck, dass eine Stärkung der EU-Halbleiterproduktion zugleich von Schritten begleitet werden müsse, den Energie- und Ressourcenverbrauch sowie schädliche Umweltauswirkungen entlang der Wertschöpfungskette zu verringern.