Tilo Gundlack, MdL beim 146. Plenum des Europäischen Ausschusses der Regionen und zur Europäischen Woche der Regionen und Städte
Vom 11. bis 14. Oktober 2021 wirkte der Landtagsabgeordnete Tilo Gundlack online an der 146. Plenartagung des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR) mit, die parallel zur Europäischen Woche der Regionen und Städte stattfand. Inhaltlich ging es vor allem um den Schutz von regionalen und lokalen Gebietskörperschaften.
In Debatten mit den EU-Kommissaren Virginijus Sinkevičius, Janez Lenarčič und Dubravka Šuica befassten sich die Lokal- und Regionalvertreter der EU unter anderem mit dem Europäischen Green Deal, dem EU-Katastrophenschutz sowie mit den Arbeiten der EU-Zukunftskonferenz.
Die AdR-Vertreter verabschiedeten insgesamt sieben Stellungnahmen und zwei Entschließungen. Neben der Unterzeichnung der Erklärung von Edinburgh zur Biodiversität fand auch eine Debatte über das EU-Jahresbarometer statt.
Kinderschutz - EU-Strategie über Kinderrechte und Einführung einer europäischen Garantie für Kinder
Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Empfehlung des Rates bezüglich einer EU-Garantie für bedürftige Kinder, deren Einführung bereits 2015 das EU-Parlament gefordert hat, zielt auf die Reduzierung sozialer Ausgrenzung, Armut und Ungleichheit, durch einen kostenlosen Zugang zu Diensten wie (frühkindlicher) Bildung, Erziehung, Betreuung, Gesundheitsversorgung und einer gesunden Mahlzeit pro Schultag ab. Die Zahl der von Armut bedrohten Kinder in der EU soll um mindestens fünf Millionen verringert werden. Zur Unterstützung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten stehen Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+), dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung, React-EU, Invest-EU, dem Instrument für technische Unterstützung und dem „EU-Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen“ bereit. Auch wird das EU-Programm zur Verteilung von Obst, Gemüse und Milchprodukten zunächst bis 2023 fortgeführt. Mindestens fünf Prozent der Mittel in geteilter Verwaltung aus dem ESF+ fordert der AdR für die Unterstützung von Maßnahmen der Kindergarantie.
Die AdR-Mitglieder fordern ferner in der von ihnen verabschiedeten Stellungnahme, bei der Einführung einer europäischen Garantie für Kinder einbezogen zu werden sowie insgesamt eine ausreichende finanzielle Unterstützung seitens der EU-Mitgliedstaaten, die Aktionspläne für den Zeitraum bis 2030 vorzulegen haben. Die AdR-Mitglieder begrüßen zudem den Vorschlag der EU-Kommission, nationale Koordinatoren für die Kindergarantie zu benennen und ein EU-Netzwerk für die Rechte des Kindes aufzubauen. Sie sprechen sich entschieden gegen die Ingewahrsamnahme von Kindern aus Migrationsgründen aus, fordern wahrheitsgetreue Informationen über die COVID-19-Impfung von Kindern und eine Bewertung der psychischen Auswirkungen der Pandemie.
Sie betonen außerdem die Notwendigkeit einer bedarfsorientierten Finanzierung von Schulen und Kitas, die auch den Erhalt kleinerer Schulen im ländlichen Raum garantiert. Die Stellungnahme des AdR betont auch, dass das Funktionieren der sozialen Dienste für junge Menschen, die aus dem Kinderschutzsystem herausfallen, sichergestellt werden muss, indem ihnen Wohnbeihilfen, Ausbildung und Unterstützung für ein eigenständiges Leben gewährt werden, damit sie sich sozial und beruflich integrieren können.
Die AdR-Stellungnahme bezieht sich auch auf die neue Mitteilung der EU-Kommission über eine EU-Kinderrechtsstrategie, die die Teilhabe von Kindern am politischen und demokratischen Leben in der EU, ihre Bildung und Gesundheit und gute sozioökonomische Lage, die Verhütung von jeglicher Form von Gewalt und Diskriminierung, eine kindgerechte Justiz, und eine sichere digitale Umgebung für Kinder anstrebt, auch unter Achtung der globalen Dimension der Rechte des Kindes.
Sie begrüßt die Zusage der EU-Kommission, darauf hinzuwirken, dass es in den Lieferketten von EU-Unternehmen keine Kinderarbeit gibt.
Die AdR-Stellungnahme ist aus Sicht des Flächenlandes Mecklenburg-Vorpommern bedeutsam, wo bereits die medizinische Versorgung durch Kinderkliniken und Frühchen-Stationen, letztere an zwei von vier Standorten, auf dem Spiel steht und in diesem Jahr 1075 Schüler*innen, d.h. 8,1% aller Schulabgänger, mit weniger als der Berufsreife verlassen haben. In Mecklenburg-Vorpommern ist laut dem Kinderschutzbund jedes dritte Kind arm. Auch haben im vergangenen Jahr 2155 von 11315 (19%) der Berufsschüler trotz Ausbildung keinen Berufsabschluss erreicht.
Klimaschutz - Entschließung zur Vertragsstaatenkonferenz COP-26 der UN-Klimarahmenkonvention
Die AdR-Stellungnahme zur UN-Klimakonferenz COP-26 fordert unter anderem eine Vereinbarung der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) mit dem AdR und eine Anerkennung, Überwachung und Förderung lokaler und regionaler Beiträge zum Klimaschutz. Er tritt außerdem für den Ausbau der interregionale Zusammenarbeit, lokaler wissenschaftlicher Plattformen zur Unterstützung der Entscheidungsfindung von Mandatsträgern ein, wirbt für die Einbindung subnationaler Energieagenturen in die Analyse der regionalen Klimaauswirkungen sowie in die Meldung und Bewertung von Emissionen und einen Beitritt zum EU-Bürgermeisterkonvent für Klima und Energie. Daneben regt er ein spezielles Klimainnovationsprogramm der EU-Kommission für lokale und regionale Gebietskörperschaften an und betont die Rolle nachhaltiger Investitionen, eines mit WTO-Regeln zu vereinbarenden CO2-Grenzausgleichsmeachnismus sowie einer besseren Berücksichtigung von Umwelt- und Klimaschutzerwägungen in der EU-Handelspolitik.
Mecklenburg-Vorpommern ist das erste Bundesland, das sich bereits heute - rechnerisch - zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien versorgen kann und es bietet viele Ansatzpunkte für eine innovative Kreislaufwirtschaft. In seinem Bericht vom März 2021 benannte der Zukunftsrat MV u.a. den naturbasierten Klimaschutz/die klimafreundliche Landnutzung als große Chance für Mecklenburg-Vorpommern. Das Bundesland habe das Potenzial, in naher Zukunft und ohne massive wirtschaftliche und soziale Einschnitte Klimaneutralität zu erreichen. Voraussetzung dafür sei auch, die gegenwärtigen sehr hohen Treibhausgas-Emissionen aus entwässerten Moorböden (30 Prozent der Gesamt-Emissionen in MV) zu senken, indem die Entwässerung der Moore beendet und teilweise auf “nasse” Land- und Forstwirtschaft umgestellt wird. Gleichzeitig könne die Klimawirksamkeit des Waldes durch Förderung alter und dichter Wälder, Stabilisierung des vorhandenen Waldbestandes und standortgerechte Aufforstungen verstärkt werden.
Schutz der digitalen Zukunft - Europäische digitale Identität
Die EU-Vorschriften über elektronische Identifizierung und entgeltliche elektronische Dienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt (eIDAS-Verordnung) aus dem Jahr 2014 zielen darauf ab, nationale elektronische Identifizierungssysteme europaweit interoperabel zu machen, um den Zugang zu Online-Diensten zu erleichtern. In der EU-Digitalstrategie "Die digitale Zukunft Europas gestalten" hat die EU-Kommission angekündigt, die eIDAS-Verordnung zu überarbeiten, um ihre Wirksamkeit zu verbessern, ihre Anwendung auf den privaten Sektor auszuweiten und vertrauenswürdige digitale Identitäten („EUid-Brieftaschen“) für alle Europäer zu fördern. Mit ihrem Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung von Verordnung (EU) Nr. 910/2014, die auf dem Gesetz über digitale Märkte aufbaut und einem angemessenen Sicherheitsniveau bei elektronischen Identifizierungsmitteln dient, sollen unter anderem eine grenzübergreifende Reichweite ermöglicht und die Belange des Schutzes der Privatsphäre und der Daten bei der Nutzung von Anwendungen behandelt werden, die nicht unter die eIDAS-Verordnung fallen wie Identitätslösungen der sozialen Medien oder Finanzinstitute. Außerdem sollen Mindestanforderungen an Sicherheit und Haftung für die Anbieter von Website-Authentifizierungsdiensten festgelegt werden.
Der AdR setzt sich in dem von ihm angenommenen Stellungnahmeentwurf neben klaren Datenschutzbestimmungen und der Prüfung der Möglichkeit einer europäischen Open-Source-Lösung für die Grundfunktionen der EUid-Brieftasche dafür ein, dass jeder Mitgliedstaat innerhalb von 24 Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung eine EUid-Brieftasche ausgibt.
Schutz der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften - Für eine Beteiligung an der Programmplanung der EU und für kongruente Programmplanungszeiträume
Des Weiteren fordert der AdR in einer Stellungnahme die wirksame Einbeziehung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in die Ausarbeitung der Partnerschaftsvereinbarungen und operationellen Programme der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds für den Zeitraum 2021-2027 und in neue Instrumente des Programms NextGenerationEU wie den Fonds für einen gerechten Übergang und die Aufbau- und Resilienzfazilität, die sich erheblich auf die Kohäsionspolitik auswirkt. Zudem betont er, dass die COVID-19-Pandemie erneut gezeigt hat, wie wichtig die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Umsetzung der Struktur- und Investitionsfonds sind. Zugleich habe die Pandemie die Unterfinanzierung vieler lokaler und regionaler Gebietskörperschaften aufgedeckt, weshalb er die von der EU-Kommission in den Paketen CRII und CRII+ angebotenen Flexibilitätsmaßnahmen begrüßt. Der Stellungnahmeentwurf des AdR fordert die EU-Kommission auf, einen Vorschlag vorzulegen, um den Kofinanzierungssatz von 100 % (d.h. kein geforderter nationaler Kofinanzierungsbeitrag) um ein weiteres Jahr zu verlängern, die N+3-Regel (dreijähriger Zeitraum zur Mittelabrufung) zu verlängern und den Höchstbetrag für staatliche De-minimis-Beihilfen (nicht genehmigungspflichtig) vorübergehend anzuheben, damit die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften ausreichende Unterstützung erhalten.
Schutz jenseits der zweigeschlechtlichen Geschlechterteilung: „Kein Platz für humanitätsfreie Zonen in der EU“ – Für eine Union der Gleichheit
Die AdR-Mitglieder stimmten über einen Stellungnahmeentwurf zur Mitteilung „Eine Union der Gleichheit“ der EU-Kommission vom November 2020 ab. Letztere enthält eine Strategie für die Gleichstellung der Gruppe der LGBTIQ für die Jahre 2020–2025. Hierzu gehören lesbische, schwule, intersexuelle, bi- und transsexuelle Menschen und/oder solche Menschen, deren geschlechtliche und/oder sexuelle Identität jenseits der binären Geschlechtereinteilung und/oder Heterosexualität verortet ist.
Sich auf die EU-Verträge und die EU-Grundrechtecharta berufend, beschreibt die EU-Kommission in ihrer Mitteilung, dass auf nationaler Ebene bereits 21 der 27 EU- Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, die gleichgeschlechtliche Ehe rechtlich anerkannt haben. Dänemark, Irland, Luxemburg und Malta haben außerdem schon Verfahren zur rechtlichen Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit ohne medizinische Anforderungen eingeführt.
Die EU-Kommission hatte eine Handlungsempfehlung mit Maßnahmen zur Durchsetzung und Überwachung der Rechte der LGBTIQ vorgelegt. Die AdR-Stellungnahme begrüßt diese Arbeiten und wendet sich gegen die Diskriminierung und Marginalisierung von LGBTIQ, die unter anderem von einzelnen nationalen und regionalen Regierungen in der EU ausgeht. Ferner teilt sie das Anliegen der EU-Kommission, Hetze, Hasskriminalität und Gewalt, der LGBTIQ noch immer zum Opfer fallen, entgegenzuwirken. Sie geht auf die Notwendigkeit ein, medizinischen Eingriffen bei intersexuellen Kleinkindern und Jugendlichen, also solchen, die sich von Geburt an nicht anhand der herkömmlichen Klassifizierung „männlich“ oder „weiblich“ über die Geschlechtsmerkmale bestimmen lassen, ein Ende zu setzen. Die Stellungnahme des AdR richtet sich somit gegen medizinische Eingriffe, die, ohne hinreichende Kenntnisse der Sachlage auf Seiten der Eltern/Betroffenen und ohne lebensnotwendig zu sein, durchgeführt werden und die Anpassung an normierte weibliche oder männliche Genitalien zum Ziel haben.
Der AdR unterstützt mit seiner Stellungnahme außerdem alle Bemühungen zur Verhinderung von Konversionstherapien und erzwungenen medizinischen Eingriffen für intersexuelle und trans* Personen (einschließlich der intersexuellen Genitalverstümmelung und Zwangssterilisation); zudem fordert er die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften auf, derartigen Initiativen, wenn sie in ihren Räumlichkeiten tätig sind, Einhalt zu gebieten und Mittel bereitzustellen, um solche Praktiken zu beenden, wobei dem Schutz von Kindern und Jugendlichen besondere Aufmerksamkeit gelten soll. Die Stellungnahme erwähnt außerdem Beispiele lokaler Gebietskörperschaften wie Barcelona, Ljubljana, Berlin, Budapest und Łódź, die die Inklusion der LGBTIQ proaktiv umsetzen unter dem Hinweis, dass manche dies den nationalen Regierungen voraushaben.
Die EU-Kommission hatte Anfang September 2021 fünf polnische Regionen, die von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) regiert werden, angeschrieben und sie aufgefordert, die von ihren lokalen Regierungen verabschiedeten Anti-LGBT-Erklärungen aufzuheben. Die Erklärungen sollten aufgehoben werden, damit die Regionen weiterhin Finanzmittel erhalten können, heißt es in den Schreiben. Die Zahlungen aus dem REACT-EU-Fonds in Höhe von 126 Millionen Euro wurden bereits ausgesetzt.
Ungarische AdR-Mitglieder der Fidesz-Partei sind kurz vor der 146. AdR-Plenartagung aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei des AdR ausgeschieden und in die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer übergewechselt. Sie hatten in einem weithin kritisierten, später zurückgezogenen Änderungsantrag Homosexualität mit Pädophilie in Verbindung gebracht.
Weitere Stellungnahme- und Entschließungsentwürfe des AdR wurden zu den Themen Terrorismusbekämpfung, Katastrophenschutz, EU-Verbraucheragenda und dem EU-Jahresbarometer angenommen.